Wellenreiter-Kolumne vom 7. Mai 2012
Exodus an der Börse
„Die Massen haben sich bereits
vor langer Zeit aus dem Aktienmarkt zurückgezogen. Sie sind in alternative
Investments mit höherer Verzinsung und damit größerem Schutz vor Inflation
eingestiegen. Jetzt haben auch Pensionsfunds die Erlaubnis erhalten,
Aktien und Anleihen zugunsten von Immobilien, Futures, Gold und sogar
Diamanten fallen zu lassen. Der Tod der Aktien sieht nach einem beinahe
permanenten Zustand aus; irgendwann umkehrbar, aber nicht in der nahen
Zukunft.“
Am 13. August 1979 erschien
jener berühmt-berüchtigte Artikel „The Death of Equities“ in der „Business
Week“.
Ende der 70er Jahre hielt der Bärenmarkt Wall Street und Investoren
in seinem eisigen Griff; seit 13 Jahren war jeder Versuch gescheitert, die
1000-Punkte-Grenze im Dow Jones Index zu überwinden. Der S&P 500 konnte
die 100-Punkte-Marke nicht überwinden.
Der schwarze senkrechte Strich
bezeichnet das Erscheinungsdatum des Artikels. Der Artikel gilt deshalb
als Mutter aller Kontraindikatoren, weil der S&P 500 nur wenige Monate
später die 100-Punkte-Marke hinter sich lassen konnte. Dies geschah mit
steigendem Volumen (ein Hinweis auf die Nachhaltigkeit der Bewegung). Zwei
Jahre später wurde die 100-Punkte-Marke von oben getestet. Anschließend
begann der Bullenmarkt der 1980er und 1990er Jahre.
Ein Rückgang des
Handelsvolumens konnte in den 1970er Jahren zu keinem Zeitpunkt
festgestellt werden. Dies ist jetzt anders. Seit den Jahren 2007/08 fallen
die Handelsumsätze kontinuierlich.
Seit dem Beginn der
Finanzkrise in den Jahren 2007/08 ist das tägliche Handelsvolumen an der
NYSE um etwa 50 Prozent gefallen. An der Nasdaq ist der Rückgang weniger
stark, aber 30 Prozent dürften es allemal sein (folgender Chart).
Die New York Times hat zum
Thema Handelsvolumen einen interessanten Artikel veröf-fentlicht.
http://tinyurl.com/cbxr758.
Darin heißt es sinngemäß: „Der Rückgang des Handels-volumens trifft nicht
nur die 13 offiziellen Börsen der USA. Auch die inoffiziellen Börsen wie
die so genannten Dark Pools verlieren Volumen.“
Man könnte meinen, das
Desinteresse sei auf die Börsen beschränkt. Dies ist aber nicht so. Seit
dem Jahr 2008 dominiert die Zahl der Monate mit Kapitalabflüssen
(folgender Chart).
Dargestellt sind die
Kapitalbewegungen zu und aus US-Aktienfonds. Ob diese Fonds in
einheimische oder aus US-Sicht ausländische Märkte investieren, spielt bei
dieser Be-trachtung keine Rolle. Stellt man den Kapitalfluss kumuliert
dar, so erhält man den folgenden Chart.
Zunächst ging das Desinteresse
der Anleger mit fallenden Märkten einher. Als sich die Märkte im Frühjahr
2009 erholten, stoppten die Abflüsse. Es gelang den Fonds jedoch nicht,
netto neues Kapital anzulocken. Der August-Crash von 2011 verdüsterte die
Situation der Fonds. Obwohl die Märkte anschließend stiegen, werden
Kapitalabflüsse registriert. Daran änderte auch die Frühjahrsrallye
nichts.
Laut New York Times-Artikel
betreffen die Rückgänge auch den Hochfrequenzhandel. Hochfrequenzhändler
handeln typischerweise nicht gegeneinander. Sie benötigen den langsamen,
traditionellen Trader oder Investor als Gegenpart.
Das Kapital fließt stattdessen
in die Anleihenmärkte.
Hier die kumulierte
Darstellung.
Fazit: Der „New Economy-Hype“
um das Jahr 2000 herum erschütterte das seit Anfang der 1980er Jahre
aufgebaute Selbstbewusstsein der Aktienkultur zum ersten Mal. Die
Finanzkrise brachte den zweiten Schlag. Von diesem haben sich die
Aktienmärkte volumentechnisch bisher nicht erholen können. Das Kapital
fließt stattdessen in Anleihen sowie Anleihenfonds.
Je mehr privates Kapital in
Anleihenfonds fließt, desto stärker steigt die Abhängigkeit der privaten
Kapitalgeber von der Rückzahlungsfähigkeit des Staates. Schon mittelmäßig
steigende Zinsen (=die Anleihen fallen) würden in manchen Portfolios
Schäden anrichten.
Dies ist ein weiterer Grund,
warum beispielsweise die USA gezwungen sind, die Renditen auf einem
niedrigen Stand zu halten. Die Sparer werden bestraft, die Schuldner
belohnt. Die Autorin Carmen Reinhart beschreibt dieses Gebaren mit dem
Schlagwort „Finanzielle Repression“.
http://tinyurl.com/cqyrzf3
Aktien- und Anleihenmärkte
stehen in direkter Konkurrenz zueinander. In Japan kommt der Aktienmarkt
auch deshalb nicht auf die Beine, weil enormes Kapital der Privatanleger
über die Postbank in japanische Anleihen fließt. Diese Gelder fehlen dem
Aktienmarkt. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich jetzt auch in den USA
und in Europa. Solange die Kapitalflüsse mehr und mehr auf Anleihen
ausgerichtet werden, haben die Aktienmärkte Probleme, Kurs zu halten.
Dieses Problem kann sich nur dann lösen, wenn das bisher in Anleihenmärkte
fließende Geld in die Aktienmärkte zurückkehrt.
Wann wird dies sein? Als der
Markt Anfang der 1980er Jahre drehte, befand sich das KGV 10
(Kurs-Gewinn-Verhältnis bezogen auf die Durchschnittsgewinne der
vergangenen 10 Jahre) bei 10 (siehe Pfeil folgender Chart).
Aktuell zeigt es einen Wert
von 25 an. Solche Zahlen werden eher mit Hochs als mit Tiefs verbunden.
Auch wenn die KGVs für die erwarteten Gewinne wesentlich niedriger liegen,
so ist nicht sicher, ob die erwarteten Gewinne tatsächlich eintreten. In
Phasen einer wirtschaftlichen Abkühlung bzw. in Rezessionen werden aus
Gewinnen Verluste, da lässt sich überhaupt kein KGV feststellen. Aus
diesem Grund erscheint das KGV 10 ein vernünftiger Maßstab zu sein.
Fazit: Seit 2007 ist ein
Exodus an den US-Börsen zu verzeichnen. Schon einmal – im August 1979 –
wurde der Tod der Aktien proklamiert. Mit der New York Times beginnen sich
erstmals in diesem Volumen-Abwärtszyklus größere Medien für dieses Thema
zu interessieren.
Im Jahr 2003 schrieben wir
bereits einmal eine Kolumne zum Thema „Tod der Aktien“. Damals schlossen
wir mit den Worten: „Demnach hätte Gold noch einen langen, positiven Weg
vor sich; die US-Aktien würden in den nächsten 10 Jahren nirgendwo
hingehen. Währenddessen warten wir geduldig auf einen Artikel in einem
bedeutenden Wirtschaftsmagazin, der kühl analysierend und mit viel
Berechtigung den nächsten Tod der Aktien verkündet. Die Chance, dass dies
geschieht, bevor wir in der Nähe des Endes eines langen, zehrenden und
quälenden Bärenmarktes angelangt sind, ist gering.“
In einem Jahr sind die damals
genannten 10 Jahre abgelaufen. Wir gehen davon aus, dass sich nach einer
finalen Bereinigung im Jahr 2013 ein neuer Bullenmarkt entwickeln wird.
Sie auch diesen Artikel
http://tinyurl.com/d3nadpf
Verfolgen Sie die Entwicklung
der Finanzmärkte in unserer handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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