Wellenreiter-Kolumne vom 21. Mai 2012
Die Zwei-Prozent-Rendite-Falle
Im November 1997 unterschritt
die Rendite 10jähriger japanischer Anleihen die 2-Prozent-Marke. Danach
ging es zu wie in einer Venusfliegenfalle: Die Rendite konnte die
2-Prozent-Marke nicht mehr überwinden. Ausbruchsversuche in den Jahren
1999 und 2006 scheitern (siehe rote Linie folgender Chart).
Die Rendite 10jähriger Schweizer Anleihen tauchte im Frühjahr 2010 unter
die 2-Prozent-Marke. Sie notiert aktuell bei 0,63 Prozent.
Die Rendite 10jähriger US-Anleihen notiert bei 1,80 Prozent. Für die
entsprechende deutsche Rendite werden 1,47 Prozent gemessen. Auch dies ist
ein historischer Tiefstwert.
Die Rendite 10jähriger
US-Anleihen verlief in den vergangenen rund 200 Jahren in einem Korridor
zwischen 2 und 8 Prozent. Die Ausnahme bildeten die 1970er und 1980er
Jahre mit Renditen bis zu 15 Prozent.
Nach unten bildete die
2-Prozent-Marke stets eine zuverlässige Barriere. Am 6.9.2011 fiel die
Rendite 10jähriger US-Anleihen erstmals seit Jahrzehnten unter die
2-Prozent-Marke. Eine solche Unterschreitung wurde kurzfristig in den
1940er Jahren registriert. Damals gelang wenige Monate später „die
Flucht“: Die Rendite dreht wieder nach oben.
Offenbar öffnet sich unterhalb der 2-Prozent-Marke eine Deflationsfalle:
Einmal unter dieser Marke, gibt es kaum ein Zurück. Die japanische
Inflationsrate kreiselt seit 1997 um die Null-Linie. Die Inflationsrate
der Schweiz taucht seit Oktober 2011 ab. Sie befindet sich momentan bei
1%. Zugegeben: Der Sondereffekt der Stützung des EUR/CHF-Kurses durch die
Schweizer Nationalbank unterstützt eine deflationäre Entwicklung.
In der Rede vom 21. November 2002 („Make sure it doesn’t happen here“)
http://tinyurl.com/4fq2fu
begründet Ben Bernanke, warum er sicher ist, dass Deflation für die USA
kein Thema sein wird.
Aktuell befindet sich die offizielle US-Inflationsrate bei 2,3%. Ein Fall
unter die 2-Prozent-Marke würde einem Zentralbanker die Schweißperlen auf
die Stirn treiben. Eine Zentralbank benötigt eine Pufferzone einer
Inflationsrate von üblicherweise zwei Prozent, um sich in einer Phase der
wirtschaftlichen Nachfrageschwäche einen Handlungsspielraum zu erhalten.
Nicht nur Ben Bernanke, sondern auch der ehemalige Chefvolkswirt der EZB,
Otmar Issing, haben die Bedeutung einer solchen Pufferzone häufig genug
betont.
Klopfen wir Bernankes Waffenarsenal auf den Realitätsbezug ab. Er bemüht
den Vergleich mit der Druckerpresse. Diese warf er seitdem mehrfach an.
Dennoch rutschten die Märkte im Jahr 2008 in die Deflation. Ein gesundes
Finanzsystem und ausreichend kapitalisierte Banken seien eine „bedeutende
Verteidigungslinie“ gegenüber einem deflationären Schock, so Bernanke
weiter. Über diesen Punkt gibt es keine zwei Meinungen: Diese
Verteidigungslinie erscheint löchrig wie ein Schweizer Käse.
Als nächstes nennt er die Senkung des Leitzinses auf Null. Diese Maßnahme
wurde durchgeführt. Sie erwies sich als nicht ausreichend. Den Einsatz der
Druckerpresse (in Form von QE) hatten wir bereits erwähnt. Als weitere
Maßnahme nennt Bernanke die Deckelung der Zinsen am langen Ende. Als
Beispiel zitiert er die 1940er Jahre. Der „Cap“ bei den 10jährigen
Anleihen in Höhe von 2,5% funktionierte beinahe eine Dekade lang. Eine
solche Deckelung schafft sich der Markt heutzutage selbst: Die Zinsen sind
heute niedriger als damals. Bernanke nennt eine weitere Option: Die
Vergabe von Krediten an Banken durch die Fed zu einem geringen Zinssatz.
Auch dies wurde bereits umgesetzt.
Fast möchte man glauben, dass Bernanke keinen weiteren Pfeil mehr im
Köcher hat. Doch einer geht noch: Der Ankauf ausländischer Staatsanleihen.
Bernanke warnt, dass diese Option wegen der Auswirkungen auf die Ökonomie
anderer Länder nicht leichtfertig gezogen werden soll. Aber es klingt
durch, dass er im Notfall eine Intervention im Devisenmarkt zugunsten
einer Abwertung des US-Dollar durchführen würde. Als Beispiel zitiert er
die gezielte Abstufung des US-Dollar gegenüber Gold in den Jahren 1933/34
durch US-Präsident Roosevelt. In der Folge stoppte die Deflation und die
Wirtschaft sprang an.
Man stelle sich die Hahnenkämpfe im Dollar/Yen vor. Die japanische
Regierung kauft US-Dollar zugunsten eines schwachen Yen, während die
US-Regierung den Yen zugunsten eines schwachen Dollar stützen würde. Oder
im Euro/Dollar. Die US-Regierung kauft Euro, um eine Aufwertung des
US-Dollar zu verhindern. Sollte der Euro tief genug fallen - z.B. unter
die Erstnotierung des Euro bei 1,18 – so dürfte mit einer koordinierten
Zentralbankaktion von FED und EZB zur Stützung des Euro zu rechnen sein.
Denn ein stark anziehender US-Dollar wäre ein klares Deflationszeichen.
Eine „absaufende“ Wirtschaft wäre das letzte, was sich US-Präsident Obama
im Vorfeld der US-Wahlen wünschen würde.
Fazit: Ein Fall der 10jährigen Rendite unter die 2-Prozent-Marke kann dann
gefährlich werden, wenn es nicht gelingt, die Marke innerhalb von einigen
Monaten zurückzuerobern. Schnappt die Venusfliegenfalle erst einmal zu,
gibt es kaum ein Entrinnen. Das von Bernanke im Jahr 2002 aufgelistete
Waffenarsenal zur Deflationsbekämpfung ist nahezu leer. Fast alles wurde
ausprobiert. Das Mittel der Währungsmanipulation mittels des Ankaufs
ausländischer Staatsanleihen stünde der Fed bzw. der amerikanischen
Regierung noch offen. Es ist die letzte Option. Sollte der Euro/Dollar
unter seine Erstnotierung fallen, dürfte es zu einer koordinierten
Intervention an den Devisen- und Anleihenmärkten kommen. Im Grund würde
das im Großen geschehen, was die Schweizer Nationalbank auf der Ebene EUR/CHF
bereits durchführt.
Wer davon ausgeht, dass der Euro von den Amerikanern bewusst gedrückt
wird, liegt falsch. Ein schwacher Euro würde die Wettbewerbssituation der
Europäer (insbesondere Deutschlands) stärken. Die Amerikaner brauchen und
wollen einen schwachen Dollar. Sie wollen moderate Inflation, nicht
Deflation. Sie werden einiges dafür tun.
Verfolgen Sie die Entwicklung
der Finanzmärkte in unserer handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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