Wellenreiter-Kolumne vom 29. Mai 2012
Tief drin?
INimmt man es statistisch
genau, so müsste der Boden „im Kasten“ sein (folgender Chart). In
US-Wahljahren pflegt der Dow Jones Index im Mai/Juni einen Boden
auszubilden, wenn man den Durchschnittsverlauf zugrunde legt.
Ein anderer Börsenbriefautor
meinte neulich, dass er saisonalen Mustern keine oder nur eine geringe
Bedeutung zumesse. Sein Statistikprofessor habe gesagt, dass eine
Grundgesamtheit von mindestens 30 Ereignissen vorhanden sein müsse, um
daraus Wahrscheinlichkeiten ableiten zu können. Dem ist zuzustimmen. Da
uns für die US-Börse seit dem Jahr 1800 Daten vorliegen, können wir diese
Anforderung häufig erfüllen.
Für die Einzelverläufe von
US-Wahljahren greifen wir auf mittlerweile 29 vorliegende Ereignisse
zurück. Wir zeigen auf dem folgenden Chart alle Wahljahresverläufe nach
dem 2. Weltkrieg (17 Ereignisse). So ist eine optische Beurteilung der
Verläufe möglich.
Üblicherweise verläuft der Dow
in US-Wahljahren relativ flach. Er endet in einer Zone von -10 bis +20
Prozent. In dieser Zone befindet sich auch das aktuelle Jahr 2012 (dicke
rote Linie obiger Chart). Dem Jahr 2008 (siehe Pfeil obiger Chart) muss
das Prädikat „Ausreißerjahr“ verliehen werden.
Wie hoch ist die
Wahrscheinlichkeit, dass sich das „Schwarzer-Schwan-Ereignis“ des Jahres
2008 wiederholt? Berücksichtigt man den Jahresendstand sämtlicher
Wahljahre seit 1900, so fallen zwei weitere Negativereignisse auf. Das
eine fand im Jahr 1920, das andere auf dem Höhepunkt der großen Depression
im Jahr 1932 statt. Beide Ereignisse wurden von einer starken Deflation
begleitet. Im Jahr 1932 drehte der Aktienmarkt ab Anfang Juli nach oben,
das Tief war praktisch Ende Mai im Kasten (folgender Chart).
Obwohl sich das Jahr 2012
medial fast wie das Jahr 1932 anfühlt, verbietet sich bei einem Jahresplus
im DAX von 8,5% und im S&P 500 von 5,9% ein solcher Vergleich.
Ein vergleichbares Gefühl
dürfte allerdings in Spanien aufkommen. Die spanische Börse wird
fluchtartig verlassen: Der spanische Leitindex IBEX notiert bei einem
Jahresminus von 27 Prozent. Und spätestens jetzt beginnen die Zweifel, ob
ein „Tief drin“ ist. Der Blick auf die Intermarket-Faktoren Öl und Gold
sowie auf den Euro/Dollar verheißt die Fortsetzung einer deflationären
Entwicklung.
Es braut sich ein Show-Down zusammen, den wir schon einmal in einer
Wochenkolumne beschrieben haben. Bis zu einem Euro/Dollar von 1,18 kann
das Finanzsystem gehalten werden, ohne dass exorbitante Maßnahmen
erforderlich sind. Sollte der Euro/Dollar die Marke von 1,18 reißen, so
dürften sich die Zentralbanken in einer Gemeinschaftsaktion zu einer
Stabilisierung des Euro verpflichten. Denn die Amerikaner haben null
Interesse an einem starken US-Dollar. Vorbild könnte die Aktion der SNB
sein, die den Euro/CHF Kurs bei 1,20 zu stabilisieren versucht. Für einen
Eingriff aller großen Zentralbanken zugunsten des Euro würde dann ein
Startsignal gegeben werden, wenn der Euro/Dollar auf die Parität
„herunterknallen“ würde. So sah dies im Euro/CHF aus.
Eine Stabilisierung des Euro/Dollar bei 1,20 ist wesentlich schwerer zu
erreichen als das gleiche im Euro/CHF. Einige tausend Hedge-Fonds würde
dies als Einladung betrachten, George Soros zu spielen und gegen die
Zentralbanken zu wetten. Aber möglicherweise bleibt den Zentralbanken
nichts anderes übrig.
Wir haben Schwierigkeiten, ein Tief an den Aktienmärkten auszurufen, ohne
dass sich die Zuspitzung speziell in Europa erledigt hat.
Gleichwohl gehen wir
nach wie vor davon aus, dass sich das Wahljahresmuster durchsetzen wird.
Ein Paniktag mit einem Abwärtsvolumen von 95% vom Gesamtvolumen würde die
Situation wohl fürs erste bereinigen.
Verfolgen Sie die Entwicklung
der Finanzmärkte in unserer handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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