Wellenreiter-Kolumne vom 6. Juni 2012
Ungleichgewichte
Der Einkommensanteil der Top 1
Prozent aller US-Haushalte erreichte im Jahr 1928 - kurz vor Beginn der
großen Depression - 24 Prozent. Als die Blase platzte, fiel die
Ungleichverteilung der Einkommen drastisch.
Nach dem zweiten Weltkrieg
setzte eine Phase ein, in der die Einkommen recht gleichmäßig stiegen. Als
die Bärenmarktphase der 1970er Jahre endete, nahm die Ungleichverteilung
zu. Dies geschah vor allen Dingen zwischen 1982 bis
1987. In
dieser Phase stiegen die Aktienkurse deutlich. Nach dem Crash von 1987
setzte eine Phase ein, in der der Einkommensanteil der Top 1 Prozent
konstant blieb.
Der zweite Schub zugunsten der
Top 1 Prozent setzte mit der New Economy-Blase (1995 bis 2000) ein.
Zwischen 2002 und 2007 verschob die Emerging Markets Blase die
Einkommensstruktur noch stärker hin zu den Top-Verdienern. Der Wert aus
dem Jahr 1928 wurde im Jahr 2007 erneut erreicht.
Bei 24 Prozent (rote Linie
obiger Chart) befindet sich offenbar eine Barriere, die nicht so leicht zu
"knacken" ist. Würde der Einkommensanteil der Top-1-Prozent-Verdiener die
Marke von beispielsweise 30 Prozent erreichen, hätte die Occupy-Bewegung
die Kraft, Volksaufstände zu organisieren.
Die Quintessenz daraus ist:
Zur Selbstregulierung benötigt das Finanzsystem den Konjunkturzyklus. Ohne
Abschwünge, Rezessionen, Depressionen würde das Ungleich-gewicht untragbar
groß werden. Aber das hat seinen Preis: Der "Kollateralschaden" des
Konjunkturzyklus ist die - in Abschwüngen steigende - Arbeitslosenquote.
Seit dem Jahr 2000 sind die
US-Jobs in der verarbeitenden Industrie von 17 auf 12 Mio. zurückgegangen.
Waren nach dem Krieg mehr als
30% in der verarbeitenden Industrie beschäftigt, so sind es heute
lediglich 10%.
Die Zahl der US-Beschäftigten
befindet sich seit 12 Jahren einem annähend gleichen Niveau (etwa 135
Mio.; folgender Chart).
Die US-Bevölkerung ist seit
dem Jahr 2000 von 282 Mio. auf 314 Mio. gestiegen. Der Zuwachs um 32 Mio.
Einwohner bei einer gleichbleibenden Anzahl von Arbeitsplätzen führt
entweder zu einer höheren Arbeitslosenquote oder zu einer geringeren
Haushaltseinkommen (oder zu beidem).
Jeder neue Abschwung
verschärft das Problem. Arbeitsplätze werden abgebaut, ohne dass im
Aufschwung ausreichend neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Bisher war
der tertiäre Sekor (Dienstleistungen) die treibende Kraft für das
Beschäftigungswachstum nach dem zweiten Weltkrieg. Den Strukturwandel in
der Beschäftigung macht der folgende Chart deutlich. Er gilt für
Deutschland.
In den USA nimmt der
Dienstleistungssektor einen noch größeren Raum ein. Die Frage: "Was folgt
auf den tertiären Sektor?" kann in immer mehr Industrieländern mit dem
Rückzug aus dem Berufsleben bzw. der Arbeitslosigkeit beantwortet werden.
In Ländern wie Deutschland und Japan, die über eine schrumpfende
Bevölkerung verfügen, ist Arbeitslosigkeit derzeit kein großes Thema. Ob
sich diese Differenzierung aufrecht erhalten lässt, wird der nächste
Abschwung erweisen.
Fazit: Im Jahr 2007 erreichte
das Einkommensungleichgewicht in den USA ein oberes Extrem. Ein solches
Extrem wurde lediglich im Jahr 1928 kurz vor der großen Depression
notiert. Größere Rezessionen verringern die Ungleichgewichte, bringen aber
"Kollateralschäden" in Form höherer Arbeitslosenquoten mit sich. In den
USA herrscht eine strukturelle, nicht über einen Aufschwung zu
beseitigende Arbeitslosigkeit, die in einem nächsten konjunkturellen
Einbruch weiter anziehen dürfte. Dann mögen zwar die
Einkommensungleichgewichte geringer geworden sein.
Doch was würde dies nutzen?
Eine Einkommenseinbuße von 3.000 Euro auf 1.500 Euro Monatseinkommen ist
für den Einzelnen deutlich spürbarer die Halbierung eines Vermögens von 62
Mrd. US-Dollar (Carlos Slim) auf 31 Mrd. US-Dollar.
Verfolgen Sie die Entwicklung
der Finanzmärkte in unserer handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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