Wellenreiter-Kolumne vom 13. Juni 2012
US-Energie-Autarkie?
Deutschland ist in
Energiefragen zweischneidig. Auf der einen Seite wird Energie gespart wie
in kaum einem anderen Land. Auf der anderen Seite wird für Versuche, die
Energieeffizienz noch stärker zu erhöhen, durch Steuergelder und höhere
Stromkosten ein Haufen zusätzliches Geld ausgegeben. Am Ende des Tages
zahlen die Deutschen mehr für Energie als die meisten anderen Nationen,
obwohl sie mit am wenigsten verbrauchen. Das ist schizophren.
Wäre Deutschland der einzige
Abnehmer von Öl auf dieser Welt, so hätte sich der im Jahr 1980 begonnene
deflatorische Trend bis zum heutigen Tag fortgesetzt. Die folgende Grafik
zeigt, dass China - und in geringerem Maße Indien - die Haupttreiber der
Ölpreis-Hausse seit Ende der 1990er Jahre sind. Der Ölverbrauch der USA
stagniert seit dem Jahr 2000.
Die Tankstelle ist der Ort, an
dem wir merken, dass wir für den Aufschwung Chinas bezahlen müssen: Ohne
China hätte der Rohstoff- und Ölpreisboom der vergangenen 10 Jahre
schlichtweg nicht stattgefunden.
Etwas anderes ist auffällig:
Die Ölproduktion der USA steigt seit dem Jahr 2008 kontinuierlich an.
Derzeit werden 6 Mio. Barrel pro Tag gefördert. Zum Jahresanfang 2012
wurde das Niveau des Jahres 1998 erreicht.
Lange befand sich die
Produktion bei 5 Mio. Barrel pro Tag - mit Spikes auf 4 Mio. in den Jahren
2005 (Hurrikane Katherina) und 2008.
Auf dem folgenden Chart ist
der Tiefpunkt der US-Ölproduktion im Jahr 2008 mit einem Pfeil bezeichnet.
Um einen Vergleich mit Erdgas
zu ermöglichen, ist international die Angabe der Energie-Einheit BTU
(British Thermal Unit) üblich. Quad bedeutet 1015
BTU. Die US-Energieagentur geht davon aus, dass das Produktionstief im
Jahr 2008 ein Multi-Dekaden-Tief sein wird.
Dennoch wird des den
US-Amerikanern nicht gelingen, eine autarke Öl-Förderung hinzubekommen. Im
Jahr 2006 importierten die USA knapp 15 Mio. Barrel pro Tag. 10,5 Mio.
waren es im März 2012. Die Importe überwiegen die eigene Produktion nach
wie vor deutlich. Sollten es die Amerikaner schaffen, die Öl-Produktion in
den kommenden Jahren auf 8 bis 9 Mio. Barrel pro Tag hochzufahren, so
würden sie sich einer 50/50-Situation nähern. Nach wie vor dürfte die
Abhängigkeit der USA vom importierten Öl auf längere Zeit erhalten
bleiben.
Dennoch: Die Importquote
sinkt, und damit auch das Handelsbilanzdefizit. Eine Erdöl-Autarkie
erscheint für die USA - auch dank weiterhin steigender Bevölkerung -
utopisch. Hingegen dürfte die Import-Unabhängigkeit von US-Erdgas in Kürze
besiegelt sein. Die US-Erdgasproduktion steigt in den kommenden Dekaden
Jahr für Jahr. US-Erdgas wird sich in den kommenden Jahren zu einem
Exportprodukt wandeln.
Fazit: In der
Energieversorgung gewinnen die Amerikaner eine größere Freiheit. Da die
USA 20 Prozent des weltweit produzierten Öls verbrauchen, sollte sich die
anziehende Öl- und Gasproduktion längerfristig dämpfend auf die
Energiepreise auswirken.
Anders herum könnten die USA
versuchen, die Preise hoch zu halten, um Inflation zu erzeugen und damit
den Schuldenabbau voran zu treiben. Zudem würden die USA dank höherer
Gewinne der Öl-Multis mehr Steuereinnahmen erzielen können. So würde der
Verbraucher die Zeche zahlen. Notwendig wäre eine Politik des schwachen
Dollars.
Verfolgen Sie die Entwicklung
der Finanzmärkte in unserer handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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