Wellenreiter-Kolumne vom 4. September 2012
Die
Kassenkredite der EZB
"Der Ankauf zwei- bis
dreijähriger Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank verstoße
nicht gegen EU-Verträge (Verbot der Staatsfinanzierung). Dies sei erst bei
längeren Laufzeiten der Fall." So war Mario Draghi vor dem Wirtschafts-
und Währungsausschuss des EU-Parlaments am Montag zu vernehmen.
"Staatsfinanzierung beginne erst bei einer Laufzeit von 15 Jahren."
Ich sitze im Haushaltsausschluss unserer Kommune. Dort unterscheidet man
zwischen längerfristigen Krediten und so genannten "Kassenkrediten".
Kassenkredite sind vergleichbar mit dem Dispositionskredit eines
Privathaushalts. Sie sind dazu gedacht, kurzfristige Liquiditätsengpässe
zu überbrücken. Aber: Viele Kommunen befinden sich in einer dauerhaften
"Überziehungssituation": Kassenkredite werden zur längerfristigen
Finanzierung herangezogen.
Die Kassenkredite der Kommunen entsprechen in etwa (jeder Vergleich
hinkt) den zwei bis dreijährigen Anleihen der Staaten. So wie alle wissen,
dass die Kommunen Kassenkredite entgegen ihrer Bestimmung für die Deckung
ihrer Haushalte einsetzen, so ist klar, dass die Ankäufe kurz laufender
Staatsanleihen durch die EZB als "Lender of last Resort" (letzter
Kreditgeber) der Finanzierung von Staaten dienen. Draghi behält sich mit
seiner obigen Aussage ausdrücklich den Ankauf 10jähriger Staatsanleihen
vor (er hat die Grenze der Staatsfinanzierung auf 15 Jahre festgesetzt).
Damit ist klar: Die EZB wird notfalls auch am langen Ende (10 Jahre) tätig
werden. Bundesbankpräsident Weidmann - er drohte mit Rücktritt - wehrte
sich mit Händen und Füßen gegen genau diese Definition.
Es gilt, die Auswirkung derartiger Aussagen auf die Märkte zu erfassen.
Die Reaktion ist beeindruckend. Die Rendite italienischer zweijähriger
Staatsanleihen fiel am Dienstag um acht Prozent, diejenige spanischer
zweijähriger Anleihen um zwölf Prozent und die zwei-jährige Rendite
portugiesischer Anleihen gar um fünfzehn Prozent.
Der folgende Chart zeigt die am kurzen Ende fallenden Renditen.
Norbert Blüm sagte einst: "Die Renten sind sicher". Die EZB sagt: "Die
Renditen sind sicher".
Was also dürfte geschehen? Versicherungen, die in Deutschland mit
Magerrenditen umgehen müssen, dürften zu spanischen und italienischen
Papieren greifen. Italienische und spanische Unternehmer mussten bisher
für Unternehmensanleihen einen hohen Zinssatz bieten. Dies schaffte eine
nachteilige Wettbewerbssituation. Auch spanische und italienische
Privathaushalte können sich preiswerter Kredite besorgen. Beide Aspekte
zusammengenommen lassen Unternehmen und Privathaushalten mehr Luft.
Eine "Aufsteilung" der Zinsstruktur (obiger Chart) ist üblicherweise ein
Vorbote einer positiven Wirtschaftsentwicklung. Diese Entwicklung wird
durch die EZB künstlich herbeigeführt.
Es ist aber kein Zufall, dass der IBEX just in dem Moment das Tief des
ersten Beines ei-nes Doppeltiefs markierte, als die spanische
Zinssstrukturkurve ihr Jahrestief ausbildete. Das war Ende Mai.
Das zweite Bein im IBEX bildete sich im Juli aus, genauso wie das zweite
Bein der Zinsstrukturkurve Spaniens.
Die Frage, ob die Erwartungen der Anleger für Donnerstag eingepreist sind,
dürfte sich im Bezug auf die Anleihen mit einem "jein" beantworten lassen.
Es gab erste Reaktionen. Nach der EZB-Sitzung könnten Gewinnmitnahmen
erfolgen. Anschließend sollte sich der Fall der spanischen und
italienischen Renditen fortsetzen. Enttäuschungspotential hat sicherlich
der Donnerstag an den Aktienmärkten, wenn a) der ISM-Index für
Dienstleistungen fallen sollte und b) Draghi hier keinen weiteren - über
das bekannte hinausgehenden - Impuls liefert. Antizipieren Sie die
Entwicklung der Finanzmärkte mit Hilfe unserer handelstäglichen
Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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