Wellenreiter-Kolumne vom 26. September 2012
Schuld und Schulden
Schulden sind eine Art Plural
von Schuld. Kriegsschuld, Kollektivschuld. Schuld und Sühne. Etwas
schultern, an einer Last schwer tragen. Im deutschsprachigen Raum ist der
Schuldenbegriff emotional negativ belegt. Im Englischen wird unterschieden
zwischen Schuld als Schuldhaftigkeit "War Guilt" (Kriegsschuld) und "Debt"
(finanz-technischer Schuldenbegriff). Ähnliches gilt für die romanischen
Sprachen spanisch, italienisch, portugiesisch und französisch. Spanisch
bedeutet "culpa" Schuld und "deuda" Schulden.
Finanzielle Schulden haben im
Deutschen etwas mit Verantwortung zu tun. Wer verschuldet ist, hat dafür
zu "sühnen". Sieht man Geldschulden hingegen als finanztechnischen Begriff
- wie die Angloamerikaner und die Südeuropäer - , so geht es nicht darum,
eine Last zu tragen. Es geht um Passiva auf dem Konto.
Ausgehend von einer solchen
Sichtweise kann man überlegen, wie man diese Passiva los wird, ohne etwas
schultern zu müssen. Hier kommen die Zentralbanken ins Spiel. Der Deutsche
sieht überwiegend keine Lösung darin, Schulden einfach in den Mülleimer
der Zentralbanken zu kippen. Dieser Mülleimer würde platzen und die große
Inflation auslösen. Dem kann man entgegenhalten: Bisher hat die Bank von
England etwa 37 Prozent der britischen Staatsverschuldung geschluckt, ohne
dass die Inflation ihr schreckliches Haupt erhoben hat. Im Gegenteil: Die
britische Inflationsrate fiel in den vergangenen beiden Jahren deutlich.
Die Staatsverschuldung der
Industrieländer kann nicht auf herkömmliche Weise abgebaut werden, selbst
wenn Austeritätsprogramme lange Jahre laufen würden. Eine
Wachstumsstrategie funktioniert aus demografischen Gründen nicht. Haircuts
großer Länder wären zu teuer. Was bleibt, ist der Ankauf der Schulden
durch die Zentralbanken. Wenn die amerikanische Zentralbank ihr gerade
gestartetes QE3-Programm bis zum Jahr 2015 ausdehnen würde, würde sie 25
Prozent der US-Staatsverschuldung aufgesaugt haben.
Die rote Linie auf dem obigen
Chart zeigt die Monetarisierungsbemühungen der Fed (QE), die blaue Linie
die Entwicklung der US-Staatsverschuldung. Würde die rote Linie die blaue
Linie erreichen, dann wären sämtliche Schulden der US-Regierung in den
Müllschlucker gewandert.
Die Staatsschulden landen bei
der Fed, aber wo fließt das dafür neu erzeugte Geld hin? Die US-Banken
legen es zum Großteil bei der Fed als "Überschussreserve" an (folgender
Chart). Die Banken erhalten eine Zins von 0,25%.
So lange die Kreditnachfrage
schwächelt, bleibt das neue Geld ebenfalls bei der Fed.
Die Frage, ob die
Monetarisierung der Staatsverschuldung durch die Zentralbanken Inflation
erzeugt, möchte man intuitiv mit "ja" beantworten. Aber das ganze ist ein
großes Experiment, von dem niemand weiß, wie es ausgeht. Der übergeordnete
Deflationsdruck ist gewaltig. Ein Blick auf die Entwicklung des
US-BIP-Wachstums seit den 1950er genügt, um die Verlangsamung der
wirtschaftlichen Entwicklung zu erkennen.
Fazit: Allein aus
sprachgeschichtlichen Gründen übt das Wort "Schulden" eine andere
Emotionalität bei uns Deutschen aus als in der angloamerikanischen oder
romanischen Welt. Die Zentralbanken kaufen die Staatsverschuldung auf und
machen sie zu Geld ("Monetarisierung"). Es ist ein finanztechnisches
Experiment, mit dem angloamerikanische und südeuropäischen Staaten keine
"Schuld" verbinden. Dieses Experiment kann so lange gut gehen, so lange
die übergeordnete deflationäre Entwicklung anhält und kein
kreditfinanzierter Boom entsteht. Unternehmen haben aktuell keinen Bedarf,
sich zu verschulden. Sie schwimmen in Cash. Erst dann, wenn die
Cash-Vorräte abgebaut sind und auch der US-Arbeitsmarkt Knappheiten
anzeigt, dürfte das seitens der Fed bereit gestellte Kapital in Umlauf
kommen und Inflation entstehen. Antizipieren Sie die Entwicklung der Finanzmärkte mit Hilfe
unserer handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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