Wellenreiter-Kolumne vom 14. November 2012
Kaputtsparen
"Kaputtsparen" hat alle
Chancen, zum Wort des Jahres 2012 gewählt zu werden. DGB-Chef Michael
Sommer sagte im Deutschlandradio angesichts des laufenden Generalstreiks
in Südeuropa: Die Euro-Krisenländer würden "kaputtgespart". Auch bei
Politikern schuldenbeladender deutscher Kommunen ist dieses Wort
mehrheitsfähig. Die Stadt Oberursel/Taunus fährt ein strukturelles Defizit
von etwa 12 Millionen Euro. Der Stadt stehen 30 Millionen Euro für den
Haushalt zur Verfügung. Ausgegeben werden 42 Millionen. "Wir können uns
schließlich nicht kaputtsparen" ist eine Aussage, die mir im Rahmen von
Haushaltsberatungen häufiger entgegengeschleudert wurde. Vor einigen
Monaten wurde der Neubau eines Hallenbades (Investitionskosten: 13
Millionen Euro) für Oberursel beschlossen. CDU, SPD und Grüne stimmten
dafür, wir - die Freien Wähler - dagegen. Die Begründung des
SPD-Bürgermeisters lautete: "Wir haben es den Bürgern versprochen." Die
Grube ist ausgehoben, der Bau läuft.
Das Wort "kaputtsparen" drückt
eine entschlossene Geisteshaltung aus. In Südeuropa ist diese Haltung
mehrheitsfähig. Aber: Der Blick auf die öffentliche Verschuldung in
Prozent vom BIP diverser Länder lässt nicht vermuten, dass sich irgend
eines dieser Länder bisher kaputtgespart hat.
Im Gegenteil: Die Verschuldung
in Prozent vom BIP ist weiter gestiegen. Die Zahlen für die Jahre 2013 und
2014 basieren auf Schätzungen der EU-Kommission.
Der Wert aller produzierten
Güter und Dienstleistungen befindet sich in Großbritannien, Italien,
Spanien, Griechenland und Portugal unterhalb des Vor-Finanzkrisen-Niveaus
aus dem Jahr 2007 (folgender Chart).
Kein BIP-Wachstum = keine
Möglichkeit, Schulden abzubauen? Diese Meinung setzt sich zunehmend durch.
Sie ist der Kern der Botschaft des "Kaputtsparens". Der Zeitfaktor spielt
eine zunehmende Rolle. Die Situation ist seit fünf Jahren verfahren, und
eine Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Zeichen stehen für
einen erneuten Abschwung in 2013.
Die Unruhe in der Bevölkerung
wächst. War das Interesse an der Geldpolitik bis zur Finanzkrise auf
Börsianer und Volkswirtschaftler beschränkt, so hat sich seither ein
grundlegender Wandel vollzogen. Alle Welt weiß, dass Zentralbanken Geld
drucken. Warum kaputtsparen, wenn das Geld mit einer buchungstechnischen
Transaktion zur Verfügung gestellt werden kann? Um die Dimension zu
verdeutlichen, scheint das folgende Beispiel angebracht: Die
US-Zentralbank druckt jeden Monat 40 Milliarden Dollar im Rahmen
ihres QE3-Programms. Ein Monatsscheck davon nach Griechenland, und die
dortigen Finanzprobleme wären weitgehend gelöst. Dies weckt
Begehrlichkeiten.
Zurück zur Kommunalpolitik:
Eine Kommune hat zwei Möglichkeiten zum Schuldenabbau. Sie kann die
Einnahmen erhöhen (Gewerbesteuer, Grundsteuer B, Kita-Gebühren,
Hundesteuer, Spielapparatesteuer etc.) oder die Ausgaben senken. Am
einfachsten und schnellsten sind Steuer- und Gebührenerhöhungen
durchzusetzen. Ein Beschluss des Stadt- oder Gemeindeparlaments reicht.
Ausgaben senken? Der Abbau von Personal in deutschen Kommunalverwaltungen
ist für viele Bürgermeister ein Tabuthema. Da aber Personalkosten den
größten Kostenblock darstellen, kommt man nicht weit, wenn man dieses
Thema außen vor lässt. Das Wort vom Kaputtsparen ist da schnell
hervorgeholt. Hinzu kommt: Viele deutsche Kommunen bauen - zur Erfüllung
des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz - Personal auf.
Fazit: "Kaputtsparen, nein
danke" lautet der Slogan. Es ist zu erwarten, dass die Begehrlichkeiten
wachsen. Dies um so mehr, wenn sich in 2013 erneut eine weltweite
Wirtschaftskrise einstellen sollte. Die Kreativität im Umgang mit "Fiat
Money" dürfte Maßnahmen beinhalten, die bis vor kurzem jenseits der
Vorstellungskraft lagen (siehe auch unsere Vorwochen-Kolumne zur
"Annullierung von Staatsschulden").
Bundesbankpräsident Weidmann
wurde im März 2012 mit den Worten zitiert: „Es gibt Notenbanken, die mit
einem negativen Eigenkapital arbeiten“. Mit Hilfe negativen Eigenkapitals
könnten Zentralbanken sämtliche existierenden Staatsschulden aufkaufen und
diese dann abschreiben, so dass ein Staat auf einem Schlag komplett
schuldenfrei wird. Zentralbanken sind in der Lage, den "God mode"
("Gott-Modus") einzuschalten - Kollateralschäden einbegriffen.
Antizipieren Sie die Entwicklung der Finanzmärkte mit Hilfe unserer
handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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