Wellenreiter-Kolumne vom 12. Dezember 2012
Deflation durch Amazon
Vor einigen Tagen betrat ich ein ortsansässiges Musikhaus, um ein
Weihnachtsgeschenk zu kaufen. Jemand aus dem Verwandten-/Freundeskreis
hatte sich eine so genannte "Loop Station" gewünscht. Damit ist es
möglich, per Gitarre oder Stimme Musik in einem Live-Auftritt aufzunehmen
und wiederholt abzuspielen.
Der junge Inhaber gab mir ein entsprechendes Gerät in die Hand. Das
Preisschild verkündete 307 Euro. Er sagte, "da könne man noch was machen".
Er entschuldigte sich und ging ins Hinterzimmer, um seinen
Verhandlungsspielraum abzugleichen. Dies tat er offenbar, indem er auf
die Internetseite eines Online-Versandhauses den dortigen Preis
überprüfte.
Etwas bleich kam er zurück und schlug eine Reduzierung auf 260 Euro vor.
Der Preis im Internet sei jenseits von Gut und Böse. Also gut, Nachlass
auf 240 Euro, aber dann verdiene er praktisch nichts mehr. Ich sagte ihm,
ich sei gern bereit, einen Aufschlag zu bezahlen, um einen Service vor Ort
zu haben. Ob 250 Euro ok wären? Dankend willigte er ein. An der Kasse
stehend vertraute er mir an, dass die "Loop Station" im Internet 199 Euro
kosten würde, er diese aber für 210 Euro eingekauft habe. "Kleinzeug" wie
Bleistifte mit Musikmotiven oder Adapterkabel würden preislich noch
funktionieren, aber größere Instrumente verkaufe er kaum noch. Da sei er
wegen der geringen Bestellmengen nicht konkurrenzfähig.
Eine solche Geschichte zeigt konsequent die Problematik auf.
Online-Händler wie Amazon.com können ganz andere Abnahmemengen
garantieren. Doch das ist nicht alles. Fast genauso wichtig erscheint die
Steuerstrategie.
Angesichts knapper Staatskassen tauchen Unternehmen wie Starbucks, Google
und Amazon als Negativbeispiele in den Medien auf. Der nachfolgend
verlinkte Bloomberg-Bericht beschreibt detailliert die
Steuervermeidungsstrategie von Google.
http://tinyurl.com/bbd7y6c
Schaltet man beispielsweise eine Google-Adwords-Anzeige, so fließt das
Geld direkt nach Irland. Von dort wird es an eine irische Tochter mit
Steuersitz in Bermuda überwiesen. Um die sowieso schon niedrige irische
Steuer zu vermeiden, erfolgt die Überweisung nach Bermuda über eine
niederländische Google-Tochter. Google zahlte in 2011 nur 3,2% an
Einkommensteuer auf Erträge aus dem internationalen Geschäft.
In anderen europäischen Staaten sind die Menschen deutlich stärker für
dieses Thema sensibilisiert als in Deutschland. Speziell in Großbritannien
gab Demonstrationen vor Starbucks-Filialen. In Deutschland ist diese
Diskussion noch nicht hochgekocht, wohl wegen vergleichsweise hoher
Steuereinnahmen.
Die EU-Kommission ist allerdings alarmiert. Die dürfte an dieser Stelle
etwas tun. Das richtige Prinzip: Die Steuern sollten da bezahlt werden, wo
die Gewinne tatsächlich generiert werden. Selbst wenn die EU-Mühlen
langsam mahlen: Für international operierende Unternehmen dürften die
Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt werden.
Dies könnte deshalb ein Börsenthema für 2013/14 werden, weil Unternehmen
wie Google, Amazon oder Starbucks in einem solchen Fall zu hoch bewertet
wären.
Dies führt uns zur Frage, ob Inflation oder Deflation mittelfristig eine
höhere Gefahr darstellt. Ohne Zweifel erhöht ein Anbieter wie Amazon.com
oder auch - um ein weiteres Beispiel zu nennen - Ikea - den
Deflationsdruck. Kleinere Anbieter haben keine Chance, den üblichen
Steuersätzen zu entgehen. Amazon und Ikea aber schon.
Sollte die EU dafür sorgen, dass Steuervermeidungsstrategien schlechter
funktionieren, dann würde dies möglicherweise am Endverbraucher hängen
bleiben. Überhaupt dürfte der Trend der Staatengemeinschaft, stärker auf
ihre Einnahmeseite zu achten, sich weiter fortsetzen. Dieser Trend begann
Mitte der vergangenen Dekade mit den Steuer-CDs und hört mit den
multinationalen Unternehmen nicht auf. Die Gesellschaft fordert - wie
aktuell in Großbritannien - den "Fair Share" der Unternehmen ein. Konnten
sich früher Unternehmer freimütig mit ihren Steuersparstrategien brüsten,
so fehlt dafür heute die gesellschaftliche Akzeptanz.
Die offiziellen Inflationsraten sind seit Beginn der Globalisierung
deutlich gefallen. Als Beispiel sei nachfolgend der 10-Jahres-Durchschnitt
der offiziellen US-Inflationsrate dargestellt.
Selbst wenn man annimmt, dass die tatsächlichen Inflationsraten höher
liegen: Der starke Anstieg der Rohstoffpreise in den vergangenen 10 Jahren
hätte deutlich höhere Inflationsraten mit sich gebracht, wenn der
globalisierte Internet-Vertrieb nicht deflationär dagegen gehalten hätte.
Doch jetzt stehen Veränderungen an. Während der Anstieg der Rohstoffpreise
auszulaufen droht (man denke an die Produktionserhöhungen in den USA),
dürfte sich die Internet-Handelsgiganten gezwungen sehen, ein steigendes
Steueraufkommen an den Kunden weiter zu geben. Wie genau sich dies netto
auf die Inflationsrate auswirken wird, ist kaum absehbar. Klar erscheint
aber, dass sich die Inputfaktoren in den kommenden Jahren verändern
werden: Fallende Rohstoffpreise könnten einem Preiserhöhungsdruck auf der
Endverbraucherseite gegenüber stehen.
Antizipieren Sie die Entwicklung der
Finanzmärkte mit Hilfe unserer handelstäglichen Frühausgabe.
Der
Wellenreiter-Jahresausblick 2013 erscheint zum Jahresende. Dort werden wir
näher auf die angesprochenen Veränderungen eingehen. Sichern Sie sich Ihr
Exemplar. Weitere Informationen unter
http://tinyurl.com/bphd22n
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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