Wellenreiter-Kolumne vom 24. Januar 2013
Zürich entspannt
Folgt der "großen Rezession"
die "große Rotation"? Wie entwickeln sich die demografischen Faktoren? Auf
welche Länder wettet Goldman Sachs in 2013? Welche Trends kristallisieren
sich für die kommenden 10 Jahre heraus? Derartige Fragen stellten sich auf
der 28. Kapitalanlegertagung, die am 22. und 23. Januar in
Zürich-Regensdorf im Vorfeld des World Economic Forum stattfand.
Jim O'Neill, verantwortlich
für das Asset Management von Goldman Sachs, erzählte seine Version von den
Geschehnissen am 26.07.2012 in London.
Das erste Draghi-Machwort fiel: "The Euro is irreversible."
Es folgte noch ein zweites: "Within our mandate, the ECB is ready to do
whatever it takes to preserve the euro. And believe me, it will be
enough."
http://tinyurl.com/ckp5478
Als Mario Draghi seine
berühmten Worte sprach, saß O'Neill nach eigenen Angaben
10 Meter
von Draghi entfernt. Er kannte Draghi; die gemeinsame Goldman-Zeit lässt
grüßen. O'Neill sagte, es habe ihn fast vom Stuhl gehauen. Er habe sofort
zu seinem Smartphone gegriffen und seinen Leuten eine Nachricht geschickt.
Der Euro/Dollar-Chart
unterstreicht die Bedeutung jenes Tages, der in vielerlei Hinsicht eine
Rückkehr zu einem Risk-on-Verhalten an den Märkten brachte.
Welche anderen Dinge hob O`Neill
hervor? Japans Yen-Abwertung tangiere das globale Gleichgewicht. Wenn
Europa nicht wolle, dass Japan sich einen größeren Kuchen von der globalen
Exportwirtschaft abschneidet und damit Exporte aus Euroland reduziert,
dann muss Euroland im Abwertungsrennen wohl oder übel folgen. Interessant
waren auch seine Zahlen, wonach die globale Wirtschaft in den letzten drei
Jahrzehnten jeweils um 3,3 bis 3,5 Prozent pro Jahr gestiegen ist. Nur
waren diese Anstiege regional ungleich verteilt. Das chinesische
Wirtschaftswachstum von 7-8% solle sich fortsetzen. In 2015 soll der
chinesische Renminbi konvertibel sein. Neben Nigeria sei Russland sein
Favoritenmarkt. Die Türkei und Brasilien schätzte er ebenfalls hoch ein.
Felix Zulauf verwies auf die
am stärksten ansteigende Bevölkerungsgruppe der Welt, nämlich diejenige
der 100+jährigen. Die Belastungen für Arbeitnehmer durch die immer älter
werdende Bevölkerung stiegen. Die Bevölkerungsschicht der 25 bis
45jährigen dünne aus. Dies gälte nicht nur für Japan und Deutschland,
sondern auch für die USA und sogar für China. Die
Auslands-Direktinvestitionen seien rückläufig. Die Phase der
Globalisierung gehe in eine Phase der Deglobalisierung über. China
verzeichne Netto-Kapitalabflüsse, reiche Chinesen brächten ihr Kapital
außer Landes. China könne Europa kaum helfen. Der Margendruck für
europäische Auto- und Maschinenbauer dürfte sich weiter erhöhen.
Konkret zieht Felix Zulauf ein
Investment in Gold noch immer einem Investment in Aktien vor. Vor allen
Dingen solle man Gold gegen Yen kaufen. Der japanische Aktienmarkt sei
allerdings interessant. Goldminen dürften sich weiter schwächlich
entwickeln. Der Rohstoffboom sei allerdings vorbei. Eine
Aktienmarkt-Baisse mit einem Rückgang von 30% scheine möglich, beginnend
im Sommer 2013. Ab den Jahren 2015/16 könne man wieder nachhaltig Aktien
kaufen.
Das "Ende der Dummheit"
proklamierte Trendforscher Lars Thomsen. Die künstliche Intelligenz, der
schon mehrfach eine große Zukunft vorhergesagt wurde, gewönne dank
wachsender Rechnerleistung in den kommenden Jahren an Bedeutung. Maschinen
würden schon bald Zusammenhänge verstehen. Dies revolutioniere den
Automarkt, den TV-Markt, den Hausgerätemarkt und nicht zuletzt den
Arbeitsmarkt insgesamt. Zwischen 30 und 40 Prozent aller Arbeiten würden
im Jahr 2020 durch den Computer in Form künstlicher Intelligenz bearbeitet
werden können, so Thomsen. 2023 dürfte etwa 5% der Bevölkerung ein
humanoider Roboter zur Verfügung stehen. Ab 2017 komme die
Genomtechnologie in ihre kommerzielle Phase (z.B. durch das Nachwachsen
von Organen).
Das hinter Thomsens
Geschäftsmodell stehende Gedankengebäude ist der Vorgehensweise von Steve
Jobs nachempfunden. Um eine neue Lösung einführen zu können, müsse ein so
genannter "Tipping Point" erreicht sein. Dieser bestünde beispielsweise
bei elektronischen Geräten wie dem Smart Phone aus erschwinglicher
Bandbreite, attraktiven Inhalten und günstigen Bauteilpreisen. Ab 2007
konnte sich deshalb das iPhone durchsetzen.
Als Zuhörer gerät man bei
derartigen Vorträgen stets in die Versuchung, die eine oder andere Idee zu
belächeln. Man sollte jedoch die Augen offen halten und sich seine Neugier
bewahren. Denn der technische Fortschritt dürfte weiterhin interessante
Geschäftsmodelle formen.
Wir beobachten, dass sich 15
bis 17 Jahre nach dem Platzen einer Blase häufig eine Echo-Blase formt. So
erscheint es durchaus möglich, dass die Jahre 2015 bis 2017 den eine oder
anderen "Neue-Markt-Freak" an die Technologieblase der Jahre 1998 bis 2000
erinnern werden (ohne freilich diese Dimension zu erreichen).
Doch zurück in die Gegenwart
des Jahres 2013. Wer glaubt an die Rückkehr des verarbeitenden Gewerbes in
den USA? Nicht Jens Erhardt. Er referierte, dass der durch Fracking
ausgelöste US-Erdgas-Boom etwa 30 Mrd. Dollar pro Jahr zum US-BIP
beitragen würde. Diese Summe erscheine nicht hoch, drucke die Fed doch
jährlich 1.000 Mrd. Dollar.
Der folgende Chart zeigt eine
Mini-Erholung der Industrie-Jobs in den USA. Mehr aber auch nicht. Die
alten Zeiten kehren nicht zurück.
Tagungsleiter Philipp Vorndran
legte einen Schwerpunkt auf das Thema Frankreich. 25% aller Arbeitnehmer
würden bei Staat arbeiten, die Staatsquote betrage 48%. Die letzten an
Marktwirtschaft erinnernde Strukturen würden in Frankreich gerade verloren
gehen. Die Lohnstückkosten seien im Vergleich zu Deutschland zu hoch, und
die Immobilienpreise seien es auch (trotz steigender Immobilien-Nachfrage
in Deutschland). Frankreich dürfte mehr und mehr zum Mühlstein der
europäischen Union werden.
Für den Abbau der
Staatsverschuldung sah er das inflationäre Beispiel der 1940er Jahre in
den USA als Vorbild. Mit einer Inflationsrate von 7% über die nächsten 10
Jahre wäre die US-Staatsverschuldung auf frühere Normalmaße zurückgebaut.
In Europa bräuchte man dafür eine Inflationsrate von 4%, in Großbritannien
8% und in Japan 10%.
Den Aktienmarkt hält Vorndran
für günstig bewertet. Die Zeichen stünden auf "Buy-the-dip", und dies
längerfristig. Der Treiber sei der Anlagennotstand.
Michael Riesner, UBS, geht
anhand der zyklischen Faktoren davon aus, dass es ab dem Sommer zu einer
Korrektur von 20 bis 25 Prozent bis ins Jahr 2014 hinein kommen dürfte.
Apple und Coca Cola hätten ihre Trends gebrochen und seien damit
Vorläufer. Zuvor könnte der der S&P 500 bis zum Sommer auf 1.550 bis 1.570
Punkte steigen. Für den Euro/Dollar sieht er die Marke von 1,40 im zweiten
Halbjahr, der Ölpreis könnte auf 120 bis 130 Dollar steigen. Der Yen
könnte zyklisch bis 2016 schwach gehen und so den Nikkei-Index treiben.
Ich habe seit 2005 alle
Kapitalanlegertagungen miterlebt. Wenn mich mein Gefühl nicht täuscht, war
der Optimismus auf dieser Tagung so hoch wie auf keiner anderen Tagung
zuvor. Erleichterung allenthalben. Selbst skeptische Menschen wie Philipp
Vorndran oder Felix Zulauf zeigten sich vergleichsweise entspannt. Sollte
nach einer derart gelösten Tagung, die ja die positive Stimmung an den
Märkten reflektiert, tatsächlich ein deutlich positives Aktienmarktjahr
folgen? Wir haben unsere Zweifel, zumindest für die zweite Jahreshälfte
2013.
Die Schuldenproblematik wurde
diskutiert, war aber nicht das vorherrschende Thema. Den Zentralbanken
wurde zugetraut, die Probleme zwar nicht zu lösen, aber doch weiter
hinauszögern zu können. Die "Große Rotation" von Anleihen in Aktien war
einer der vorherrschenden Diskussionspunkte, genauso wie die Entwicklung
des Dollar/Yen und die möglichen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Hier
bestand weitgehender Konsens, dass ein Comeback Japans zu Lasten Koreas
und Taiwans, aber auch Deutschlands gehen dürfte.
Man muss einfach sagen, dass
sich in Zürich Jahr für Jahr ein "Haufen" interessanter Leute versammelt,
mit denen es lohnt, die eigenen Anschauungen zu diskutieren, zu
reflektieren und auch anzupassen. Es muss möglich sein, den folgenden Satz
auszusprechen, ohne dass dieser als Lobhudelei aufgefasst wird: Auf der
Kapitalanlegertagung gelingt dem Teilnehmer das Erfassen wirtschaftlicher,
finanzieller und politischer Entwicklungen und deren Verknüpfung zu einem
stimmigen Bild in einer griffigen, kompakten und deshalb wertvollen Art
und Weise.
Eine ausführliche, 140-seitige Analyse von Aktien-, Anleihen-, Währungs-
und Rohstoffmärkten finden Sie in unserem Jahresausblick 2013. Sichern Sie
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http://www.wellenreiter-invest.de/ausblick2013.html
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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