Wellenreiter-Kolumne vom 16. Mai 2013
Comeback der Vertikalität
Gold crasht, Bitcoin crasht, der Yen crasht, der Nikkei boomt, der S&P 500
boomt: In vielen Märkten herrscht seit Anfang April eine längere Zeit
nicht mehr wahrgenommene Kurs-Vertikalität vor.
Es
begann mit dem scharfen Anstieg des Dollar/Yen im Herbst vergangenen
Jahres, begleitet von einer Nahezu-Verdoppelung des Nikkei-Index.
Seit Anfang April zieht die Rendite 10jähriger japanischer Staatsanleihen
nach. Sie verdoppelte sich von 0,44% auf 0,90% (folgender Chart).
Der S&P 500 konnte seit Jahresbeginn um 16% zulegen. Dies gilt schon als
ordentlicher Jahresgewinn. Würde man im S&P 500 den gleichen Maßstab
anlegen wie im DAX, so müsste man den S&P 500 Performance Index
betrachten. Dieser liegt auf Jahresbasis mit einem Plus von 18% vorn.
Wie der obige Chart zeigt, hat der S&P 500 Performance Index die
Hochpunkte der Jahre 2000 und 2007 weit hinter sich gelassen. Die
vertikale Bewegung der letzten Wochen ist gut erkennbar. Der Seitenhieb
auf den medial hochgejubelten DAX, der gerade erst die Hochs von 2000 und
2007 überwunden hat, sei an dieser Stelle gestattet.
Der XAU-Goldminenindex bewegt sich seit dem vergangenen Herbst vertikal
abwärts.
Die Zentralbanken geben Gas und fluten die Märkte mit Liquidität. Auch
wenn der Großteil der monatlich gedruckten 85 Mrd. US-Dollar auf den
Überschuss-Konten der US-Banken bei der Fed verbleibt, so fließt ein
Viertel bis ein Drittel dieses Betrages direkt in die Märkte. Die
Liquidität bahnt sich einen Weg in die Aktienmärkte. Zuflüsse in die
Anleihenmärkte sind zwar noch vorhanden, aber die Netto-Zufluss-Rate hat
nachgelassen. Staatsanleihen der „sicheren Häfen“ USA, Deutschland und
Japan mutieren im aktuellen Umfeld zur zweiten Wahl. Auch ein Teil des aus
den Rohstoffmärkten abgezogenen Kapitals dürfte den Aktienmärkten zu Gute
kommen. Profiteure sind die insbesondere die Aktienmärkte der alten
Industrieländer und der europäischen Peripherie. Die BRIC-Staaten, deren
Schicksal mit demjenigen der Rohstoffmärkte verknüpft zu sein scheint,
hinken hinterher.
Der Umstand, dass der Euro gegenüber dem Schweizer Franken zulegen kann,
obwohl er sich gegenüber dem US-Dollar eher schwach verhält, unterstützt
den Gedanken eines Normalisierungsprozesses in Europa. Der japanische Yen
und auch der Schweizer Franken boten in den Jahren seit 2007 Sicherheit.
Für diese Sicherheit nahm man niedrige Renditen in Kauf. Die Geborgenheit
eines sicheren Hafens wird nicht mehr benötigt. Fallende Yen und
Franken-Kurse bedeuten, dass sich das Kapital aus diesen Währungen heraus
bewegt.
Aufgrund dieses Umstandes sowie der charttechnischen Angewohnheit des
Schweizer Franken, dem japanischen Yen zu folgen, erscheint eine weitere
Aufwertung des Währungspaars EUR/CHF wahrscheinlich.
Das Thema „Mehr Risiko – weniger Sicherheit“ ist das eine Thema.
Liquidität ist das andere. Parallel dazu fallen die Rohstoffpreise. Die
Themen verknüpfen sich zu einem „Sweet-Spot-Szenario“: Hohe Liquidität,
wenig Risiko, geringe Inflation. Doch ein derartiger Zustand ist kein
Dauerzustand. Selbst in den - rückblickend perfekt scheinenden - 1980er
und 1990er Jahren wurden positive Marktphasen nach spätestens vier bis
fünf Jahren von heftigen Korrekturen unterbrochen.
Folgt man der Historie, so erholt sich der Dow Jones Index nach einer
Kurshalbierung üblicherweise über einen Zeitraum von viereinhalb Jahren,
bevor eine deutliche Korrektur einsetzt (folgender Chart).
Der Vergleich mit dem aktuellen Verlauf zeigt, dass sich der US-Markt in
Reichweite dieser Korrekturphase befindet.
An der Mauer der Angst („Wall of Worry“) konnten sich die Marktteilnehmer
festhalten. Sie konnten vier Jahre an ihr hochklettern. Die Mauer der
Angst wurde schließlich überwunden. Darüber kommt nur noch Luft. Es sieht
so aus, als ob die Marktteilnehmer sich bereits an Dingen festhalten, die
sich im Nachhinein als Fata Morgana erweisen dürften. Der sichere Hafen
Japan dürfte durchaus ein Fragezeichen wert sein. Und schon einmal – im
Jahr 2007 – war schier unbegrenzte Liquidität ein Thema (damals aus
Private Equity Sicht). Damals rieselte sie schlussendlich durch die
Finger; die Märkte verloren den Halt.
Fazit: Erst jetzt – nach vier Jahren Hausse - werden die Krücken der
Verunsicherung weggeworfen. Erst jetzt legt die Risikoneigung entscheidend
zu. Erst jetzt kehrt das Vertrauen in die Aktienmärkte zurück. Die
laufende Vertikalität sehen wir als ein Warnzeichen im Hinblick auf ein
Markthoch im Sommer/Spätsommer an.
Testen Sie unsere handelstägliche Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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