Wellenreiter-Kolumne vom 21. Juni 2013
Proteste, Aktienmärkte und Renditen
Die Proteste in der Türkei und in Brasilien sind Ausdruck einer zu
Wohlstand gekommenen Generation. Es sind junge Menschen, die sich den
Slogan der 1968er Generation „Unter den Talaren, Muff von 1000 Jahren“ zu
Eigen machen. Die 1968er waren Kinder des Wirtschaftswunders, genauso wie
heute die junge türkische und brasilianische Generation. Die Schere der
bewussten Wahrnehmung zwischen dem jungen und gebildeten Teil der
Bevölkerung einerseits und denjenigen, die in der Erhaltung des Status Quo
verharren, öffnet sich mit zunehmendem Wohlstand immer mehr. Schließlich
kommt es aus vergleichsweise nichtigen Anlässen zu Protesten. Dabei geht
es schnell um größere Veränderungen. Es erscheint durchaus wahrscheinlich,
dass sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten ein türkischer und/ oder
brasilianischer Joschka Fischer an die politische Spitze durchfechten wird
(und mit ihm die ganze Bewegung).
Interessant ist, an welcher Stelle im Finanzzyklus derartige Proteste
aufbrechen. In den 1950er und 1960er Jahren kam es in den entwickelten
Staaten zu einer Phase länger anhaltender Prosperität (in Deutschland
„Wirtschaftswunder“ genannt). Diese Phase ging mit einem Anstieg der
Aktienmärkte einher. Das Jahr 1968 (siehe Pfeil folgender Chart)
bezeichnet eine Phase, in der erste Brüche des Aufschwungs sichtbar
wurden.
Es folgte - bezogen auf die wirtschaftliche Aktivität - eine längere
„Verdauungsphase“. Dies war nicht nur in den USA, sondern auch in
Deutschland bzw. im „alten Europa“ der Fall.
Im heutigen Brasilien spiegelt sich das damalige Szenario. Der
brasilianische Leitindex Bovespa markierte in den Jahren 2008 und 2010 ein
Doppelhoch. Die Proteste finden in einer Zeit statt, in der die junge
Generation erstmals eine abnehmende wirtschaftliche Dynamik realisiert.
Der brasilianische Bovespa bringt es auf einen Verlust von 34 Prozent seit
dem Jahr 2010. In der Türkei ist die Entwicklung frischer. Der türkische
Leitindex ISE 100 fällt erst seit einigen Wochen. Der Verlust ist
allerdings – für einen derart kurzen Zeitraum - mit 22 Prozent recht
heftig. Würden die 1970er Jahre im Dow Jones Index als Vorbild gelten, so
müsste man Verluste von bis zu 50 Prozent für den brasilianischen und
türkischen Aktienmarkt im Rahmen einer mehrjährigen
Seitwärts-/Abwärtsphase annehmen.
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Die Schwäche der Emerging Markets – auch China ist zu nennen – bringt
niedrige Rohstoffpreise mit sich. Gleichzeitig werden die Marktteilnehmer
in den USA auf ein Ende der quantitativen Lockerung sowie einen „Regime-Change“
pro steigende Zinsen vorbereitet. Dies führte jüngst an den Märkten zu
einem generellen Luftablassen. Dabei wurde Liquidität in hohem Maße
beseitigt.
Die Aussicht auf ein Ende des bisher gewollten Niedrigzinsumfeldes machte
sich seit Anfang Mai in steigenden Renditen und einem Abverkauf
zinssensitiver Sektoren bemerkbar. Acht Hindenburg-Omen in Folge stehen
für diese Bewegung. Steigende Renditen bei fallenden Inflationserwartungen
führten zu einem deutlichen Anstieg des Realzinses. Dies ließ die
Edelmetallpreise fallen.
Die Rendite für 10jährige US-Staatsanleihen stieg am Freitag auf 2,5%.
Damit wurde eine wichtige Widerstandsmarke übertroffen.
Historisch betrachtet befindet sich auch eine Rendite von 2,5% am unteren
Ende der Langfrist-Spanne. Als „Normalisierung“ würde man einen Anstieg
auf 3 bis 4 Prozent bezeichnen können. Eine solche Normalisierung scheint
das erklärte Ziel der Fed zu sein. Der folgende Chart zeigt aber schön,
dass ein Normalwert eigentlich nicht existiert. Renditen bewegen sich
zyklisch.
Klar erscheint, dass die Periode fallender Renditen - gemäß ihrem
30-Jahres-Zyklus - ein unteres Ende erreicht haben sollte. Es stellt sich
nicht die Frage, ob die Zinsen steigen werden. Die Frage ist, in welcher
zyklischen „Sub-Form“ dies geschieht. Vorstellbar wäre ein Modell wie in
Japan. Danach würde der aktuelle Zins-Spike lediglich temporär sein. Es
würden noch Jahre vergehen, bis es zu einem nachhaltigen Anstieg käme.
Der aktuelle Zinsanstieg war im Jahr 2003 auch in Japan zu erkennen
(grüner Kreis obiger Chart). Danach ging es „flach“ weiter.
Gemessen an der Steilheit und Dauer des Renditeabwärtstrends erscheint ein
Anstieg, der innerhalb kurzer Zeit ein Renditeniveau von 3,5 bis 4%
erreicht, mit geringer Wahrscheinlichkeit belegt. Dies insbesondere im
Hinblick auf das aktuelle Niedriginflationsumfeld. Die Renditen haben bis
zum Jahr 2040 Zeit, um ein Niveau von 6 bis 8% zu erreichen. Die Marke von
14% aus dem Jahr 1981 (Jahresendstand, zwischendrin ging es noch höher)
war eine 200-Jahres-Ausnahme und muss im nächsten Zyklus nicht wieder
erreicht werden.
In den vergangenen Wochen wurde viel darüber diskutiert, ob nicht das Jahr
1994 ein Prototyp für den aktuellen Verlauf sei. Die Renditen zogen
zwischen Februar und April 1994 deutlich an (siehe schwarzen Pfeil
folgender Chart).
Parallel dazu fiel er Aktienmarkt. Die am Ende steile Abwärtsbewegung des
Aktienmarktes endete, als der Renditeanstieg Anfang April 1994 stoppte.
Eine zweite Phase des Renditeanstiegs (orangefarbiger Pfeil obiger Chart)
führte nochmals zu Turbulenzen am Aktienmarkt (September/Oktober 1994).
Damals wurde das April-Tief nochmals getestet, aber nicht mehr erreicht.
Das Jahr 1994 lehrt uns, dass steigende Renditen dazu in der Lage sind,
Aktienmärkte zu verunsichern. Insbesondere dann, wenn der Renditeanstieg
schnell und steil verläuft und ein „Regime-Change“ der Fed damit verbunden
ist (Damals erhöhte Alan Greenspan die Zinsen, aktuell zieht Ben Bernanke
verbal die Zügel an). Gleichzeitig vermittelt diese Grafik, dass ein Ende
des Zinsanstiegs in solchen Phasen häufig mit einem Tief an den
Aktienmärkten einhergeht. Solange die Renditen anziehen, dürfte die
Verunsicherung an den Aktienmärkten bestehen bleiben.
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Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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