Wellenreiter-Kolumne vom 15. August 2013
Zins-Brand attackiert auch Margin Debt
Man nehme ein DIN A4 Blatt und
zünde eine Ecke an. Brennt die Ecke, greifen die Flammen schnell auf den
Rest des Blattes über. Im Finanzsektor brennt aktuell die Zins-Ecke. Da
der Zins- bzw. Anleihenmarkt fest mit dem restlichen Finanzmarkt (der
Aktien-Ecke, der Währungs-Ecke etc.) verbunden ist, besteht die Gefahr
eines Übergreifens auf weitere Teile des Finanzmarktes.
Wir haben aus den neuen 52-Wochen-Tiefs an der NYSE eine REIT-Aktie
(börsennotierter Immobilienfonds) herausgegriffen, stellvertretend für die
Entwicklung in diesem Sektor. Der Name des Unternehmens lautet HCP.
Investiert wird in Health-Care-Immobilien (Ärztehäuser, Krankenhäuser
etc). HCP ist einer von aktuell siebzehn im S&P 500 gelisteten REITs.
Seit Mitte Mai stürzt diese Aktie aufgrund des steigenden Zinsniveaus ab.
Das gestiegene Zinsniveau wirft Projekt-Kalkulationen von REITs über den
Haufen. Da inzwischen viele Charts zinsabhängiger Fonds/Unternehmen so
aussehen, stellt sich die Frage, ob auf Pump finanzierte, misslingende
Vorhaben nicht das Abziehen von Kapital aus anderen Sektoren nach sich
ziehen. Mit anderen Worten: Müssen Löcher gestopft werden, könn-ten diese
mit Gewinnen aus Aktienanlagen bezahlt werden. Dies wiederum würde die
Aktienmärkte dann belasten, wenn die Löcher groß genug sind. Wenn schon
bei einem Zinsniveau von 2,3 bis 2,5% (Rendite 10 jähriger US-Anleihen)
zinssensitive Anlagen massiv verkauft wurden, wie erst sähe es bei einem
Niveau von 3,5% aus?
In der jüngsten Merrill Lynch Umfrage wünschten sich viele Fonds Manager,
dass Staat und Unternehmen die CAPEX („capital expenditures“) erhöhen, um
die Wirtschaft anzukurbeln. Doch sind gerade Investitionsausgaben für
langfristige Wirtschaftsgüter (z.B. in die Infrastruktur, Gebäude,
Maschinen, Computer) stark vom Zinsmarkt abhängig. Wenn man sich fragt,
warum IBM eine derart schwache Performance abliefert, dann sollte man
wissen, dass der Preis für die Ausrüstung mit IBM-Computern incl. der
Dienstleistungen häufig über einen Leasing-Vertrag abgegolten wird oder
per Kredit finanziert wird.
Leasingverträge sind renditeabhängig. Ähnliches gilt für Firmenfahrzeuge.
Die Leasing Quote bei Neuzulassungen in Deutschland liegt oberhalb von
30%. Steigen die Renditen, so hebelt dies die Leasinggebühren nach oben.
Die Folge sind letztendlich nicht mehr, sondern weniger CAPEX-Investments.
Dies führt zu Kollateralschäden im Hinblick auf die wirtschaftliche
Dynamik.
Im März verwiesen wir in einer Kolumne -
http://tinyurl.com/d7ntbmm - auf
die steigende Spekulationsneigung in den USA, ausgedrückt durch die
sogenannte Margin Debt. Die NYSE führt eine Statistik über Kredite, die in
US-Portfolios für den Kauf von Aktien zur Verfügung gestellt werden. Diese
Kredite erreichten im April 2013 mit 384 Mrd. US-Dollar ein neues
Allzeithoch.
Der rasante Teil des Anstiegs begann im Herbst 2012. Während die breite
Masse außen vor blieb, gingen viele Fonds und Hedge Fonds in die Vollen,
nachdem Mario Draghi seinen Erhaltungsschwur für den Euro abgab und
parallel dazu Ben Bernanke QE3 ankündigte (siehe Pfeil obiger Chart).
Während Draghi seinen OMT-Schwur weithin hochhält, will Bernanke mit Blick
auf sein Amtsende im Januar 2014 nicht als Helikopter-Ben in die
Geschichte eingehen. Vielmehr möchte er als derjenige angesehen werden,
der die US-Zentralbank auf den Pfad der Tugend zurückgebracht hat. Selbst
wenn es nur ein erster Schritt wäre: Bernanke würde – sollte die
Rückführung des Quantitative Easing in Kürze beginnen – behaupten können,
dass er die Normalisierung eingeleitet hätte. Die Märkte reagieren
zurückhaltend auf das angekündigte Entfernen des Bernanke-Puts. Seit Mai
steigt die Margin Debt nicht mehr: Die Spekulation verliert an Reiz. Die
Vorsicht schafft sich Raum.
Würde der Aktien-Markt vergleichsweise schnell fallen, würden sogenannte
Margin Calls den Druck verstärken. Das liegt daran, dass
US-Aktien-Portfolios nur bis zu einer Höhe von 50% beliehen werden dürfen.
Erleiden die Aktien Verluste, so sinkt auch die erlaubte Kreditsumme. Dies
führt zu Zwangsverkäufen. Investoren und Fonds, die in zinssensitive Titel
wie beispielsweise in REITs übergewichtet sind und darüber hinaus
spekulativ unterwegs sind, dürfte der eine oder andere Margin Call bereits
erreicht haben.
Hinzu kommt, dass Spekulationskredite den normalen Zinsveränderungen
unterliegen. Steigen die Zinsen, so steigen auch die Zinsen für die
Spekulationskredite. Dies beschleunigt das Näherrücken der
Beleihungsgrenze bei Geschäften auf Kredit.
Das Hindenburg-Omen nistet sich als Dauergast ein. An den vergangenen acht
Handels-tagen wurden sechs Omen registriert. Am Mittwoch standen 102 neue
Hochs 253 neuen Tiefs gegenüber.
Die hohe Zahl neuer Tiefs stammt fast ausschließlich aus dem Bereich der
an der NYSE notierten nicht-operierenden Unternehmen. Anleihe-, Muni-Fonds
und REITs werden aufgrund der steigenden Zinsen massiv abverkauft.
Wie viele neue Tiefs treten nun tatsächlich im Markt der operierenden
Unternehmen auf? Wir verfügen über die entsprechenden Daten aus dem
Russell 3000 Index. Dieser Index umfasst die US-Unternehmen des Russell
2000 (Nebenwerte) und des Russell 1000 (Standardwerte). Der Russell 3000
repräsentiert 99% des US-Aktienmarktes. Gestern wurden 18 neue Tiefs im
Russell 3000 gezählt. Der Verlauf der neuen Tiefs der vergangenen Jahre
ist nachfolgend dargestellt.
Von den 253 am Mittwoch (14.08.) notierten neuen Tiefs an der NYSE ist
demnach ein verschwindend geringer Teil auf operierende Unternehmen
zurückzuführen. Die beständig auftretenden Hindenburg-Omen sollten als das
betrachtet werden, was sie derzeit sind: Ein Warnzeichen dafür, dass
steigende Zinsen in einem Teilmarkt bereits zu negativen Auswirkungen
führen. Der breite Markt gerät zunehmend in Gefahr.
Fazit: Die Zinsen fallen seit 32 Jahren. Diejenigen, die in den 1970er
Jahren zuletzt in einem steigenden Zinsumfeld agiert haben, sind heute im
Rentenalter. Die nachfolgende Generation hat nicht gelernt, in einem
Umfeld steigender Zinsen zu bestehen. Auch die aktuelle Generation der
Zentralbanker nicht. Die Rückkehr zur „Normalität“ wird nicht ohne
schmerzhafte Lernerfahrungen vonstatten gehen. Eine erste „Lernphase“
dürfte gerade beginnen.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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