Wellenreiter-Kolumne vom 20. September 2013
Solarzyklus: „Gelehrtenstreit“ mit Tom McClellan
Der von mir geschätzte US-Börsenbriefschreiber Tom McClellan behauptet in
seiner aktuellen Kolumne
http://tinyurl.com/oktk3h7, dass ein sich mit Hilfe des Solarzyklus abkühlender Planet eine
höhere Inflationsrate und steigenden Renditen zur Folge hat. Seit Jahren
formuliere ich in Wellenreiter-Kolumnen – zuletzt am 27. Juni 2012 -, dass
ein schwacher Solarzyklus üblicherweise fallende Inflationsraten bzw.
Deflation nach sich zieht. Die Erkenntnisse von Tom McClellan und mir
widersprechen sich. Deshalb habe ich mich entschlossen, meinen
"Forschungsstand" erneut auf den Tisch zu legen – mit einigen neuen und
ergänzenden Charts.
Mir ist klar, dass die Mehrheit der Leser bezweifelt, ob dieser Punkt
überhaupt mit Hilfe des Solarzyklus geklärt werden kann. Andererseits: Tom
McClellan und ich nehmen das Thema ernst. In den vergangenen Jahren war
die Analyse dieses Zyklus durchaus ein hilfreicher Teil des
Wellenreiter-Instrumentariums.
Zunächst einmal sind sich die Experten einig, dass der Solarzyklus in
diesen Monaten sein Maximum markieren wird bzw. bereits markiert hat.
Dabei ist die Chance, dass die Sonnenflecken noch zunehmen, minimal, da
sich das Magnetfeld der Sonne bereits „umpolt“. Ein solcher Prozess ist
stets ein Zeichen für ein Zyklen-Maximum. Gemäß Projektionen der NASA
dürfte das nächste Minimum im Jahr 2020 erreicht werden. Nachfolgend
stellen wir den Solarzyklus seit 1750 dar.
Die niedrige Amplitude des aktuellen Maximums ist gut zu erkennen. Die
Existenz eines 100-Jahres-Zyklus niedriger Amplituden ist offensichtlich.
Anfang des 19. und 20. Jahrhunderts war die Amplitude ähnlich niedrig wie
aktuell. Waren zu jenen Zeitpunkten auch die weltweiten Temperaturen
niedrig? Für den Beginn des 20. Jahrhunderts lässt sich dies belegen
(grüner Kreis folgender Chart).
Da die Zeitreihe erst im Jahr 1850 beginnt, müssen für die Jahre 1800 bis
1820 andere Belege her. Im Jahr 1816 kam es zum „Jahr ohne Sommer“.
Insbesondere der Zeitraum von 1812 bis 1819 brachte kalte Temperaturen. Im
Jahr 1815 brach in Indonesien der Vulkan „Tambora“ aus. Auf dessen
Ausbruch führen Wissenschaftler die damalige Kälteperiode zurück. Die
Vermutung liegt jedoch nahe, dass außer dem Vulkanausbruch auch die
geringe Zahl der Sonnenflecken für ein kaltes Klima verantwortlich war.
Mit anderen Worten: Zu Beginn des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts
kam es zu einer ausgeprägten Kälteperiode. Aktuell lässt sich nicht von
einer solchen sprechen, dafür liegen die Temperaturen vergleichsweise
hoch. Wohl aber lässt sich mit Hilfe der Daten des britischen Metoffice
erkennen, dass die weltweite Durchschnittstemperatur seit dem Jahr 1998
leicht rückläufig ist. Da der Solarzyklus voraussichtlich erst im Jahr
2020 sein Minimum erreicht, kann man die Erwartung einer Abkühlung in den
kommenden Jahren formulieren. Alles andere wäre ein Beleg dafür, dass die
menschliche Aktivität den natürlichen Temperaturzyklus auszuhebeln
versteht.
Wenn wir schon den Beginn des 19. und 20. Jahrhunderts als klimatisch
kühle Perioden kennzeichnen, dann wäre es interessant zu wissen, wie sich
der zurückgerechnete Dow Jones Index in diesen Zeiträumen verhalten hat.
Auf dem nachfolgenden Chart ist gut zu erkennen, dass der Dow in diesen
Perioden schwächelte.
Die Schlussfolgerung wäre, dass ein Zusammenhang zwischen Solarzyklus,
Temperaturen und dem Verhalten der Aktienmärkte existiert. Niemand kann
nachweisen, dass dies so ist. Man kann lediglich darauf hinweisen, dass
man bei intensiver Beschäftigung mit diesem Thema auf den Gedanken kommen
kann, dass die Finanzmärkte nicht unabhängig von Temperatur- bzw.
Solarkomponenten agieren.
Der folgende Chart begründet den Kern der Dissonanz zwischen Tom McClellan
und mir. Er zeigt den Solarzyklus und die US-Inflationsrate in einem
Chart.
Ich meine aus diesem Chart herauslesen zu können, dass die
US-Inflationsrate häufig gemeinsam mit dem Solarzyklus einen Hochpunkt
erreicht. Zudem fällt auf, dass die Amplituden des Solarzyklus seit dem
Jahr 1980 immer geringer werden. Parallel dazu fällt die US-Inflationsrate
seit 1980. Das bedeutet: Ein schwacher Solarzyklus bringt eine schwache
Inflationsrate bzw. Deflation mit sich. Da wir mit hoher
Wahrscheinlichkeit annehmen können, dass der Solarzyklus bis zum Jahr 2020
fallen wird, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass das Inflationshoch
aus dem Frühjahr 2011 als Ausgangspunkt für eine länger anhaltende Periode
einer fallenden Inflationsrate bzw. einer Deflation dient.
Tom McClellan nimmt an, dass nicht nur die Inflation, sondern auch die
Rendite von jetzt ab steigen wird. Nachfolgend betrachten wir die Rendite
10jähriger US-Anleihen und den Solarzyklus in einem Chart.
Ein Zusammenhang zwischen Renditeentwicklung und Sonnenzyklus lässt sich
nicht schlüssig visualisieren. Wenn, dann ist zu erkennen, dass solare
Maxima meist einen Hochpunkt der Renditen bedeuteten (blaue Linien obiger
Chart). Keinesfalls aber erscheint das Gegenteil richtig: Nämlich dass ein
schwacher Solarzyklus mit steigenden Renditen einhergeht.
Jetzt zu einer berechtigten Zwischenfrage: Wenn ein schwacher Solarzyklus
zu kälteren Temperaturen und diese zu fallenden Inflationsraten bzw.
Deflation führt, dann würde der Ölpreis fallen. Öl wird aber bei kalten
Temperaturen verstärkt nachgefragt: Der Ölpreis steigt. Wie kann dann
Deflation die Märkte beherrschen? Die Antwort: Als der Ölpreis im Herbst
1998 bei 10 Dollar notierte, betrug die US-Inflationsrate 1,48%. Jetzt
notiert der Ölpreis bei über 100 Dollar, die Inflationsrate beträgt 1,50%.
Die vergangene Dekade war – trotz eines Rohstoffbooms – von einer
moderaten Inflationsentwicklung gekennzeichnet. Natürlich lässt sich
argumentieren, dass die Schatteninflationsrate höher liegt als die
offizielle US-Inflationsrate. Aber man sollte doch sehen, dass die
Inflationsrate in der vergangenen Dekade deutlich von einem kritischen
Teuerungsniveau entfernt war. Nicht umsonst drucken die Zentralbanken seit
Jahren Geld in dem verzweifelten Versuch, die Preisentwicklung nicht nach
unten durchsacken zu lassen.
Zum Abschluss noch ein Chart, der zeigt, dass solare Maxima in der
Vergangenheit stets mit US-Rezessionen korreliert haben.
Rezessionen fanden auch an einem solaren Minimum statt (wie 1973/74 und
2008/09). Nichtsdestotrotz gilt die Regel, dass ein solares Maximum von
einer Rezession begleitet wird. Diese Regel gilt – bis jetzt. Denn in
diesen Wochen und Monaten zeigt sich die US-Wirtschaft vergleichsweise
robust. Anzeichen einer Rezession sind nicht erkennbar. Über den Daumen
geschaut sollte die Rezession bis Mitte 2014 auftreten, damit diese
Parallelität der Ereignisse nicht verschwindet. Wir werden diese
Korrelation weiterhin beobachten.
Fazit: Der solare 100-Jahres-Zyklus korrelierte zu Beginn der vergangenen
beiden Jahrhunderte mit kühlen Temperaturen und einem schwächlichen
Aktienmarktumfeld. Auch zu Beginn dieses Jahrhunderts hat sich diese
Korrelation offenbart. Der schwache Solarzyklus geht üblicherweise – und
anders, als es Tom McClellan beschreibt - mit fallenden Inflationsraten
einher. Im Bezug auf die Zinsentwicklung ist die Korrelation weniger klar.
Solare Hochs scheinen aber mit Zinspeaks einher zu gehen. Solare Maxima
und US-Rezessionen sind „Brüder im Geiste“. Nur in dieser Periode noch
nicht.
Der Lichtblick ist, dass die Aktienmärkte die schwache Periode eines
Jahrhundertbeginns weitgehend „verfrühstückt“ haben. Sollte in den
kommenden Monaten eine US-Rezession beginnen, so dürfte deren Tiefpunkt
eine längerfristige Kaufgelegenheit offerieren.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
P.S. Testen Sie unsere Frühausgabe. Ein kostenloses 14tägiges Schnupperabonnement erhalten Sie unter
www.wellenreiter-invest.de
|