Wellenreiter-Kolumne vom 6. Oktober 2013
Botox-DAX-Marketing
Der Performance-DAX legte in den vergangenen beiden Jahren um 3.600 Punkte
zu. Scheinbar ohne Widerstand gleitet der deutsche Leitindex weiter von
Allzeithoch zu Allzeithoch.
Der auf der Kurstafel im Frankfurter Börsensaal dargestellte
Performance-DAX ist ein so genannter Total Return Index. Er rechnet
Dividenden zur Kursentwicklung hinzu.
Weder im Euro Stoxx 50, im Dow Jones Index, im S&P 500, im CAC 40, im FTSE
100, im SMI, im IBEX oder sonstigen Leitindizes werden Dividenden mit
einbezogen. Diese Indizes sind reine Kursindizes.
Das europäische Statistikamt Eurostat versucht seit längerer Zeit,
BIP-Messungen, Arbeitslosenquoten und Inflationsraten innerhalb der EU so
zu harmonisieren, dass eine ungefähre Vergleichbarkeit gegeben ist. Der
Kursverlauf von Leitindizes ist eine relevante, u.a. von der EZB zur
Entscheidungsfindung herangezogene Größe. Eurostat veröffentlicht eine
indexierte Übersicht europäischer Aktienindizes, die den Performance DAX
in eine Linie mit den Leitindizes anderer Länder stellt (Googeln: „Eurostat
Stock Market“). Als Quelle gibt Eurostat die EZB an. Die EZB übernimmt die
Daten der nationalen Börsen offenbar ungeprüft. EZB und Eurostat müssen
zwingend den Kurs-Dax verwenden, wenn Sie die Absicht haben, eine
statistische Vergleichbarkeit der Leitindizes herstellen zu wollen.
Irritationen der nationalen und internationalen Anleger würden bei
Einführung des Kurs-Dax als Leitindex nicht mehr auftreten. Sie würde
dafür sorgen, dass der DAX auf europäischer und internationaler Ebene
vergleichbar wird. Und last but not least würde die Information über den
DAX-Kursverlauf als statistisch relevante Größe in Eurostat- und
EZB-Betrachtungen Eingang finden können.
Nicht nur der DAX, sondern auch der MDAX wird als Performance-Index
geführt. Der Nebenwerte-Index MDAX konnte im laufenden Jahr rund 27%
hinzugewinnen. Der Kurs-MDAX stieg um 23,7%. Der US-Nebenwerteindex
Russell 2000 (Kursindex) legte um 26,5% zu. Erst auf dem zweiten Blick
wird deutlich, dass die US-Nebenwerte stärker gestiegen sind als die
deutschen Nebenwerte.
Man kann der Meinung sein, dass diese Unterschiede irrelevant sind. Wenn
interessiert es, ob ein Index um 24 oder um 27 Prozent gestiegen ist?
Betrachtet man allerdings den bisherigen Jahresgewinn von Performance-DAX
(+13,3%) und Kurs-DAX (+9,6%), so klingt zweistellig besser als
einstellig. Der spanische IBEX (Kursindex) stieg in diesem Jahr um 15,3%.
Da hält der Performance-DAX fast mit, aber der Kurs-DAX eben nicht. Der
Kurs-DAX ist zwingend derjenige, der mit dem IBEX zu vergleichen wäre.
Es gibt noch eine weiteren kleinen, aber feinen Unterschied: Während der
Performance-DAX ein neues Allzeithoch nach dem anderen generiert, befindet
sich der Kurs-DAX knapp 30 Prozent unterhalb seines Allzeithochs.
Charttechnisch befindet sich der Kurs-DAX in einer interessanten
Situation, nämlich an der oberen Begrenzung eines großen Dreiecksmusters
(nächster Chart).
Ein Ausbruch aus diesem Muster könnte eine „Runaway-Situation“ mit höheren
Kursen produzieren. Andererseits bedeutet diese Begrenzung de facto einen
Widerstand. Dieser Widerstand wird zum ersten Mal angelaufen. Angesichts
von Größe und Bedeutung des Musters erscheint ein „Durchmarsch“ des
Kurs-DAX unwahrscheinlich.
Indexiert man Kurs-DAX und Euro Stoxx 50 auf den 1.1.1990, so haben beide
Indizes in den vergangenen 24 Jahren um jeweils 170 Prozent zulegen
können.
Zum Vergleich: Der für Europäer währungsbereinigte S&P 500 schaffte im
gleichen Zeitraum einen Anstieg von mehr als 300 Prozent (grüne Linie
obiger Chart).
55% der DAX-Marktkapitalisierung befindet sich in ausländischer Hand
(knapp die Hälfte davon sind US-Investoren).
Frage: Warum investieren die US-Amerikaner überhaupt in den DAX? In ihrem
Heimatmarkt locken doch die höheren Gewinne? Antwort: Der Performance-DAX
legte seit Januar 1990 um 380 Prozent zu. Das schlägt doch den S&P 500 um
Längen….
Die Amerikaner sprachen häufig vom „Dumb German Money“ (der Begriff stammt
ursprünglich aus den 1990er Jahren und bezeichnet die Finanzierung
irrelevanter Hollywood-Produktionen durch deutsches Filmfonds-Geld).
Umgekehrt dürfte einiges an „Dumb American Money“ im DAX sitzen, auf dem
Eindruck beruhend, dass der DAX exzellenter performt als der S&P 500.
Bei aller Kritik: Das Marketing für den Botox-DAX ist ausgeklügelt genial.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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