Wellenreiter-Kolumne vom 29. November 2013
Woher kommt der Deflationsdruck?
Die Euroland-Inflationsrate stieg im November von 0,7% auf 0,9%. In den
USA dürfte die November-Inflationsrate von 1,0% auf 1,3% anziehen. Alles
gut also? Nicht ganz.
Die Inflationsrate wird von Einflussfaktoren wie den Rohstoffpreisen, den
Arbeitskosten und der konjunkturellen Entwicklung bestimmt. Der Blick auf
den langjährigen Rohstoffindex zeigt seit etwa 100 Jahren einen
übergeordneten, realen Abwärtstrend.
Damit dieser Chart nicht falsch verstanden wird: Natürlich sind die
Rohstoffpreise insgesamt gestiegen. Aber der Anstieg blieb seit 1920
unterhalb der Inflationsrate. Rohstoffe werden real preiswerter. Ähnliche
Charts lassen sich für die meisten Rohstoffe zeichnen.
Das bedeutet: Die Rohstoffhausse von 2001 bis 2011 dürfte als eine
mittelfristige Gegenbewegung im Rahmen eines langfristigen, realen
Abwärtstrend notiert werden. Seit dem Jahr 2011 hat der Langfristtrend das
Ruder wieder übernommen (siehe Pfeil obiger Chart). Man könnte
entgegenhalten, dies sei ja keine eindeutige Trendwende. Die
Rohstoffhausse könnte ihre Bewegung erneut aufnehmen.
Ein wesentliches Argument gegen diese Sichtweise besteht in der
Angebotssituation wichtiger Rohstoffe. Der Kohlepreis befindet sich auf
einem Niveau, auf dem er bereits im Jahr 2004 notierte. Kohle ist
preiswert und in rauen Mengen am Weltmarkt verfügbar. Und das noch mehrere
hundert Jahre. Als Folge wird der Betrieb von – vergleichsweise sauberen –
Gaskraftwerken von deutschen Energieunternehmen als nicht rentabel
angesehen.
Im Jahr 2012 haben die USA 95% ihres Erdgasverbrauchs durch
Eigenproduktion abgedeckt. Die Autarkie wurde hier praktisch erreicht. In
den kommenden Jahren mutieren die USA zum Erdgasexporteur.
Die US-Erdölproduktion weitet sich derzeit schlagartig aus. Die mit Hilfe
neuer Methoden ausgebeuteten Felder in North Dakota und Texas einerseits
und der gezügelte Erdöl-Verbrauch der US-Amerikaner andererseits sorgen
dafür, dass sich die Schere zwischen Angebot und Nachfrage verengt.
Betrug der Deckungsgrad des Öl-Verbrauchs durch Eigenproduktion in den
1960er Jahren noch 80 Prozent, so fiel dieser bis zum Jahr 2007 auf 33
Prozent. In den kommenden Jahren soll dieser Deckungsgrad deutlich steigen
und die 60-Prozent-Marke erreichen (nächster Chart).
Das Erdöl-Angebot auf dem Weltmarkt steigt bis zum Jahr 2015 deutlich an,
danach flacht der Anstieg ab. Unter diesen Umständen kann einem Anstieg
des Ölpreises in den Jahren 2014 und 2015 nur eine geringe
Wahrscheinlichkeit zugestanden werden. Dies würde nur dann passieren, wenn
die Nachfrage nach Erdöl plötzlich stark zunehmen würde und/oder das
Angebot verknappt werden würde. Dazu aber müssten die BRIC-Staaten
„anspringen“.
Wir haben verschiedentlich auf die Zinsstrukturkurve Chinas verwiesen. Die
Spanne zwischen der Rendite 10jähriger und 2jähriger Staatsanleihen
verengt sich weiter. Die Differenz beträgt nur noch 11 Basispunkte
(folgender Chart).
Sobald diese Spanne unter null fällt, müsste man einen deutlichen
Wirtschaftsabschwung für China im Jahr 2014 befürchten. Ein solcher würde
auf die Weltwirtschaft deflationär wirken.
In Deutschland erhöhten sich die Nettolöhne in den vergangenen drei Jahren
um 2,7%, 3,3% und 2,6% Prozent (Jahre 2010, 2011 und 2012). Für das Jahr
2013 wird ein ähnlicher Wert wie 2012 antizipiert. Dies sind
vergleichsweise moderate Zahlen. Inflationsdruck entsteht so nicht. Die
Reallohnsteigerungen (Nettolohn minus Inflationsrate) betrugen in den
vergangenen drei Jahren 1,5%, 1,0% und 0,6% Prozent (Jahre 2010, 2011 und
2012). Diese Zahlen sind konstruktiv, sorgen sie doch dafür, dass sich das
Konsumklima in Deutschland verbessert. Der deutsche Arbeitsmarkt zeigte
jetzt erstmals negative „Zuckungen“. Diese würden sich verstärken, sollten
Auto- und Maschinenbauer im kommenden Jahr mit einer Exportschwäche
konfrontiert werden.
Mussten US-Unternehmen vor der großen Rezession mit einem Anstieg der
Arbeitskosten zwischen 2,5 und 3,5 Prozent pro Jahr umgehen, so liegen die
Arbeitskosten (Löhne und Gehälter) seit dem Ende der „großen Rezession“
zwischen 1,5 und 1,8 Prozent.
Diese Werte sind nicht inflationsbereinigt. Der Zuwachs der
US-Arbeitskosten liegt seit einigen Jahren unterhalb der Inflationsrate.
In Verbindung mit fallenden Rohstoffpreisen erscheint es schwierig, auf
diese Art und Weise einen Aufwärtsdruck auf die Inflationsrate zu
bekommen.
Die große Mehrheit der Volkswirte erwartet für 2014 einen positiven, ja
sogar beschleunigten Wirtschaftsverlauf. Fallende Rohstoffpreise werden
als Segen wahrgenommen. Ein erhöhtes Rohstoffangebot dürfte in Verbindung
mit einer geringeren Dynamik in China und einem Arbeitsmarkt, der in den
entwickelten Ländern die Arbeitskosten niedrig hält, den deflationären
Druck noch länger aufrecht erhalten.
Vor negativen Zinsstrukturkurven – wie möglicherweise bald in China
- sollten Volkswirte einen gewissen Respekt entwickeln. Eine solche hatte
zum Jahreswechsel 2006/07 die „große Rezession“ in den USA angekündigt.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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