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Europe First
Wellenreiter-Kolumne vom
08. März 2019
Das Elend Europas begann mit der Finanzkrise. Während die amerikanische Fed, die Bank of Japan, die Bank of England und die Schweizerische Nationalbank sofort reagierten und Ankaufprogramme für Staatsanleihen auflegten, hielt einzig die Europäische Zentralbank dies nicht für nötig. Erst im Jahr 2015 - unter dem Eindruck der Eurokrise und der europäischen Rezession von 2012/13 - reagierte die EZB und legte ein sogenanntes „Quantitative Easing“-Programm auf. Dieses endete im Dezember 2018.
Derartige Programme weiten eine Zentralbankbilanz aus. Der Blick in dass Jahr 2014 zeigt, dass die Amerikaner und die Japaner damals Vollgas gaben, während die EZB die Bilanzsumme zurückfuhr.
Die Zusammenhänge sind nicht immer eindeutig. Aber man kommt nicht umhin, mit einigem Fug und Recht zu vermuten, dass das Auflegen eines QE-Programms durch die EZB bereits im Jahr 2008 oder 2009 Europa die regionale Rezession der Jahre 2012/13 erspart hätte.
Die Bank of Japan besitzt 50 Prozent der ausstehenden Staatsanleihen. Die EZB hält 20 Prozent, die Fed 13 Prozent.
Japan geht bei der Lösung des Schuldenproblems konsequent vor. Die EZB agiert am Rande dessen, was der Europäische Gerichtshof ihr zugesteht, wird aber im Falle einer Krisensituation darüber hinausgehen (müssen). Die USA haben im Fall der Fälle viel Luft für eine erneute Bilanzausweitung.
Europa leistet sich als einzige Region den Luxus, die geldpolitische Handlungsfähigkeit ihrer Zentralbank juristisch einzuschränken. Das wird dann gefährlich, wenn die EZB im Rahmen einer Krisenintervention beispielsweise zur Vermeidung eines Anstiegs der Arbeitslosenzahl um mehrere Millionen ihren Anteil an Staatsanleihen japanisieren, also auf 50 Prozent hochschrauben möchte, aber es nicht kann, weil der EuGH diesen Rahmen ausschließt. Mehr als ein Drittel der ausstehenden Anleihen dürfen die EZB und ihre angeschlossenen Notenbanken nicht kaufen.
Die Geldpolitik unterliegt in Japan und den USA keinerlei judikativen Einflussnahmen. Mir ist nicht bekannt, dass der US-Supreme Court in der Lage wäre, eine expansive Federal Reserve Bank zu bremsen. Die EZB sollte wie die Fed und die Bank of Japan die Befugnis besitzen, solche Entscheidungen im Rahmen ihres Mandats treffen zu können.
Während die Zentralbanken Chinas, der USA, Japans, der Schweiz und Großbritanniens schnell und flexibel auf „Lender-of-Last-Resort“-Situationen reagieren können, kann es durchaus sein, dass der EZB-Rat in zugespitzten Situationen zunächst das Einverständnis von Parlamenten einholen muss oder lieber erst gar nichts tut.
Wie soll die europäische Geldpolitik in zugespitzten Situationen funktionieren, ohne dass der EZB-Rat Gefahr läuft, vor den Kadi gezogen zu werden? Dann lieber die Füße stillhalten und eine Rezession Rezession sein lassen, dann geht’s auch nicht in den Knast.
Europa hat für diese Systemschwäche bereits bezahlt. Die Ratio des Euro Stoxx 50 zum S&P 500 weist seit dem Beginn der Finanzkrise nach unten.
Die EZB muss ihr Nichthandeln der Jahre 2009 bis 2015 vorwerfen lassen. Sie hat damit ihren Beitrag zur relativen Schwäche Europas gegenüber den USA und Japan geleistet. Gegenüber dem japanischen Nikkei Index fällt der Euro Stoxx 50 ebenfalls seit dem Jahr 2008.
Doch genug der Abrechnung mit der EZB und den EZB-Kritikern, der Blick soll sich nach vorn richten. Welches Potential hat Europa in den kommenden Jahren? Die relative Schwäche Europas hält bereits seit zehn Jahren an. An den Bösen ist dies ein langer Zeitraum.
Der Kurs-DAX befindet sich gegenüber dem S&P 500 an einer Stelle, an der es im in der Vergangenheit gelang, die Richtung umzukehren (folgender Chart).
Es stellt sich die Frage, ob die Investoren Europa weiterhin den Rücken kehren oder ob es in Kürze zu einer Renaissance europäischer Aktien kommt. Die Übergewichtung europäischer Aktien war laut BofA/ML-Fondsmanagerumfrage im Januar so gering wie zuletzt im Jahr 2012. Die Mittelabflüsse aus in Europa investierenden Investmentfonds schlagen laut BoFa/ML alles bisher Dagewesene. Der Pessimismus gegenüber Europa erreicht ein Extrem.
Da grenzt es fast schon an ein Wunder, dass der - zugegebenermaßen mit defensiven Werten vollgestopfte – Swiss Market Index nahe seinem Allzeithoch notiert. Nestle, Roche, Novartis und Co. machen es möglich.
Es hat sich eine langfristige Tasse/Henkel-Formation ausgebildet, die im Falle eines Ausbruchs weit tragen würde. Rein rechnerisch würde der Index bei einem Ausbruch über die 9.500-Punkte-Marke auf 14.500 Punkte steigen.
Der französische CAC 40 läuft deutlich besser als der vergleichbare Kurs-DAX. Der Branchenführer der Luxusindustrie und Mitglied des CAC 40, LVMH, notiert an seinem Allzeithoch (folgender Chart).
Der Kurs-DAX rangiert international weit hinten, gemäß unserer Rangliste auf Platz 33 von 50. Die 50-Tage-Linie bei 5.115 Punkten sollte halten, damit die Aufwärtsbewegung fortgesetzt werden kann.
Der griechische Leitindex (+13,5%, Platz 8) ist der Top-Performer Europas.
Kommt jetzt das große Europa-Comeback? Europäische Aktien wurden so deutlich wie selten zuvor aus den internationalen Portfolios entfernt. Sie werden nur noch mit spitzen Fingern angefasst. Die Performance des DAX zeigt eine relative Schwäche zu anderen europäischen Aktienindizes. Das deutsche Produktivkapital ist alles andere als ein Renner. Die Stimmung gegenüber europäischen Aktien ist absolut negativ und der relative Abwärtstrend Europas hält seit zehn Jahren an. Aus der Sichtweise eines Contrarian-Ansatzes heraus müsste Europa in Kürze damit beginnen, relative Stärke gegenüber den USA und Japan zu zeigen.
Es sollte allerdings sichergestellt sein, dass die europäische Geldpolitik handlungsfähig bleibt. Die EZB verhielt sich in den Jahren 2009 bis 2014 - möglicherweise aus Angst vor Fehlern oder Strafen - merkwürdig still. Hier nicht gehandelt zu haben, bleibt ein großer Malus.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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