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Streiks bedeuten Hochkonjunktur

Wellenreiter-Kolumne vom 30. März 2014

Es geht uns wieder gut. Anders ist die laufende „Streik-Euphorie“ der Gewerkschaften nicht zu deuten. Streiks finden überwiegend in Zeiten der Hochkonjunktur statt.

 

In Konjunkturtiefs genießt die individuelle Sicherung des Arbeitsplatzes oberste Priorität. Hohe Arbeitslosenzahlen bedeuten ein Überangebot an Arbeitskräften mit der Folge, dass die individuelle Ersetzbarkeit zunimmt. Wer hat schon Lust, durch einen Streik seinen Arbeitsplatz zu riskieren? Die Streikbereitschaft ist in solchen Zeiten gering.

 

Je stärker Aktienkurse und Unternehmensgewinne zulegen, desto mehr verstärkt sich die Distanz zwischen dem Gehalt eines Durchschnittsverdieners und den Top-1%-Einkommen. Die Entwicklung der Top-1%-Einkommen ist maßgeblich von der Entwicklung von Aktienkursen und Unternehmensgewinnen abhängig. Diese Distanz ruft Neid-Debatten hervor. Zudem entspannt sich in einem konjunkturellen Aufschwung der Arbeitsmarkt. Das Gefühl größerer Arbeitsplatzsicherheit, kombiniert mit einem Gefühl des finanziellen Zurückbleibens, erhöht die individuelle Streikbereitschaft.  

 

Die letzte große Streikwelle durchlebte Deutschland in den Jahren 2006 bis 2008. Damals kam es zu einem Konjunktur- und Aktienmarkthoch (siehe Pfeil folgender Chart).


Im Jahr 2006 kam es zum größten Streik im öffentlichen Dienst seit 14 Jahren. Es streikten u.a. Polizisten, Kindergärtnerinnen und die Müllabfuhr. 2007 streikten mehrere zehntausend Mitarbeiter der Deutschen Telekom sowie die Lokführer der Deutschen Bahn. Die Lokführergewerkschaft GDL forderte  31 Prozent mehr Lohn. 2008 schließlich streikte das Kabinenpersonal der Lufthansa. Verdi forderte 9,8 Prozent mehr Lohn. Auch die Piloten von Lufthansa-Töchtern streikten.

 

Die Ausfallzeiten lassen sich messen. Die Jahre 2006 und 2007 bedeuteten mit 46 bzw. 21 arbeitskampfbedingten Ausfalltagen pro 1.000 Beschäftigten ein Verlaufshoch der Ausfalltage. In den Folgejahren wurden deutlich weniger Ausfalltage gezählt (Quelle: WSI).

 

Historisch lässt sich ein solcher Zyklus ebenfalls belegen. Im Januar 1966 streikten die Fahrer der New Yorker U-Bahn. Der Streik dauerte 14 Tage – vom 1. bis 13. Januar. Es war der bisher längste Streik der in der Geschichte der Metropolitan Transport Authority (MTA). An der Wall-Street wurden die fetten Jahre gefeiert, Investmentfonds erlebten einen Boom. Die US-Inflationsrate lag bei 2 Prozent und die US-Arbeitslosenquote bei 4 Prozent. Der Streik-Termin war kein Zufall. Im Januar 1966 erreichte der Nachkriegs-Aktienbullenmarkt seinen vorläufigen Höhepunkt (siehe Pfeil folgender Chart).

Der berühmt-berüchtigte Sitzstreik im Hauptwerk des US-Auto-Herstellers General Motors („Flint-Sit-Down-Strike“) fällt ebenfalls in diese Kategorie. Er fand vom 30. Dezember 1936 bis zum 11. Februar 1937 statt. Dieser Streik begründete den Aufstieg der US-Gewerkschaft UAW und sorgte dafür, dass sich ein Großteil der US-Autoindustrie gewerkschaftlich organisierte.

 

Damals erholte sich US-Wirtschaft von den „Untiefen“ der großen Depression. Nur einen Monat nach dem Ende des Streiks bildete der US-Aktienmarkt ein wichtiges Hoch aus (im März 1937, siehe Pfeil folgender Chart).



Die aktuellen Streiks erhalten in Zeiten deflationärer Tendenzen eine neue Qualität. Die Politik ist stärker als zuvor daran interessiert, die Konsumbereitschaft anzuregen. Der japanische Ministerpräsident Abe bettelte die japanischen Großunternehmen jüngst an, die Gehälter deutlich zu erhöhen. Der „Preisschock“ der Mehrwertsteuererhöhung zum 1. April soll mit gefüllten Portemonnaies der Verbraucher abgefangen werden.


Die große Koalition in Deutschland sähe es mit Wohlwollen, wenn die Unternehmen die Löhne und Gehälter erhöhen würden. Den deflationären Tendenzen soll entgegengewirkt werden. Viele Kommunen verzeichnen ein gegenüber den Vorjahren erhöhtes Gewerbe- und Einkommensteueraufkommen. Dies führt dazu, dass sich Defizite verringern.


Angesichts dieser Konstellation erscheint das „Durchziehen“ langer Warnstreiks inmitten der offiziellen Verhandlungen im öffentlichen Dienst deutlich überzogen. Die Arbeitgeber „wollen“ ja. Die Gewerkschafts-Funktionäre sehen sich offenbar in der Pflicht, den Rückenwind dieser Entwicklung für sich zu beanspruchen.


Nicht jeder Streik korreliert mit einem wichtigen Hoch an den Aktienmärken. Eine Häufung von Streiks erscheint aber als guter Indikator dafür, dass Aktienmärkte und Unternehmensgewinne im Begriff sind, ihre zyklische Hochphase auszureizen.


Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest

 


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