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WM - jetzt wird's ernst...

Wellenreiter-Kolumne vom 03. Juni 2014

Die Wahrscheinlichkeit ist geradezu zwingend. Brasilien wird Fußballweltmeister. Die Seleção hat bisher die meisten Titel gewonnen (fünf). Hinzu kommt der Heimvorteil: Das ausrichtende Team gewann 25% aller Weltmeisterschaften seit 1930. Dazu kommt der Amerika-Vorteil: Die Weltmeister auf dem amerikanischen Kontinent hießen bisher Brasilien (3x), Argentinien und Uruguay (je 2x). Europäische Teams: Fehlanzeige. Addiert man diese Statistiken auf, so liegt die Gewinnwahrscheinlichkeit Brasiliens deutlich vor Teams wie Argentinien, Spanien und Deutschland.

 

Das ist die quantitative Komponente. Da die Spitzenteams bei einem Turnier in der Regel auf einem hohen Niveau spielen, entscheidet häufig die Psychologie, der Wille, die Robustheit. Oder der Schiedsrichter. Schiedsrichter können sich dem Druck schwerlich entziehen. In einem Endspiel wird dem Heimteam – bewusst oder unbewusst – geholfen.

 

Von sieben Endspielen, an denen der Ausrichter teilnahm, gewann das Heimteam sechs. Das ist eine statistische Anomalie, die auf herkömmlichem Wege nicht erklärbar ist. Man erinnert sich an 1966 (Phantom-Tor England gegen Deutschland), an 1974 (zweifelhafter Elfmeter für Deutschland gegen Holland, herausgeholt durch Bernd Hölzenbein), an 1978 (holländischer Mannschaftsbus kam kaum durch, Spiel begann mit einer halben Stunde Verzögerung. Argentinien schoss sich zuvor mit sechs – offensichtlich manipulierten - Toren gegen Peru ins Endspiel).

 

Zwei weitere Anekdoten (Quelle: Wikipedia) kennzeichnen die Umstände, unter denen die Schiedsrichter in den Jahren 1930 und 1934 agierten. Beide Male wurde das Heimteam Fußball-Weltmeister. Im Jahr 1930 hatte der Unparteiische John Langenus erst wenige Stunden vor Anpfiff eingewilligt, das Finale im Jahr 1930 zwischen Uruguay und Argentinien zu leiten. Die Bedingung war, dass eine Stunde nach Abpfiff ein Boot am Hafen von Montevideo für eine etwaige Flucht bereitstehe. 10.000 bis 15.000 Argentinier überquerten den Rio de la Plata von Buenos Aires aus, um das Spiel zu sehen.

 

Die andere Anekdote betrifft das Jahr 1934. Italien setzte sich im Halbfinale gegen Österreich durch. Der schwedische Schiedsrichter Ivan Eklind war tags zuvor von Benito Mussolini als persönlicher Ehrengast empfangen worden. Das einzige Tor des Spiels fiel in der 18. Minute, als mehrere Italiener den österreichischen Tormann Peter Platzer mit dem Ball in den Händen über die Torlinie stießen. Ivan Eklind griff sogar selbst aktiv ins Spielgeschehen ein, indem er eine Flanke auf den freistehenden österreichischen Stürmer Karl Zischek wegköpfte. Das Finale Italien gegen die Tschechoslowakei leitete erneut Ivan Eklind. Der Schiedsrichter zeigte sich in der zweiten Hälfte dem teilweise überharten Spiel der Italiener gegenüber nachsichtig und verzichtete auf fällige Feldverweise. Italien gewann 2:1 nach Verlängerung.

 

So also sind die WM-Titel der Heimteams zustande gekommen. Das einzige Heim-Team, das seinen Titel mit überlegenen spielerischen Mitteln gewann, war Frankreich. Im Jahr 1998 spielte die Mannschaft um Zinédine Zidane die Brasilianer an die Wand. Frankreich gewann 3:0.

 

Die einzige Heimmannschaft, die jemals ein Endspiel verlor, war Brasilien (1950 1:2 gegen Uruguay vor 200.000 Zuschauern im Maracana-Stadion). Stünde Brasilien am 13. Juli 2014 im Endspiel, würde ein unglaublicher Druck auf den Spielern lasten. Es ginge nicht nur um den Titel. Es ginge auch darum, die Scharte von 1950 auszuwetzen. Der Druck auf das Schiedsrichtergespann dürfte für das brasilianische Team einen Bonus bedeuten. Aber wehe, wenn der Titel verfehlt wird. Der brasilianische Torwart Barbosa, der im Jahr 1950 das 1:2 gegen Uruguay „verschuldete“, wurde Zeit seines Lebens geächtet. Kurz vor seinem Tod im Jahr 2000 sagte er in einem Interview: „In Brasilien sieht das Gesetz 30 Jahre Haft für einen Mord vor. Es ist weit mehr als diese Zeit seit dem Finale von 1950 vergangen und ich fühle mich noch immer eingekerkert.“ 1993 wurde Barbosa der Zugang zum Trainingsgelände der Brasilianer mit den Worten verwehrt, er könne der Seleção Pech bringen.

 

Die FAZ zitiert den österreichischen Gerichtspsychiater Reinhard Haller: „Ein Fußballspiel enthalte alle Elemente eines Krieges: Propaganda, Heere, Uniformen, Schlachtgesänge, Feldherren, Kämpfer und sehr viel Geld.“ Haller findet, „das Böse sei in eine verträgliche Form gebracht worden.“ Beispielsweise ist ein Achtelfinale USA gegen Russland möglich.  

 

Was hat eine Fußball-WM mit der Börse zu tun? Eine Fußball-WM findet stets in einem Zwischenwahljahr des US-Präsidentschaftszyklus statt, und zwar im Übergangsbereich vom zweiten zum dritten Quartal. Durchschnittlich verläuft der Dow Jones Index während einer WM negativ (folgender Chart).

 

 

Eine WM dauert durchschnittlich 22 Handelstage. Da der deutsche Aktienmarkt eng mit dem US-Aktienmarkt korreliert, dürfte dieser Verlauf auch für den DAX gelten. Allerdings wird ein Großteil der Verluste in den letzten WM-Tagen eliminiert. Hier greift der US-Feiertags-Bias: Um den US-Nationalfeiertag 4. Juli herum verhalten sich die Aktienmärkte meist positiv. Aus diesem Grund kann man für einen „Trade“ ab etwa dem 28. Juni long gehen (siehe Pfeil obiger Chart). Dies entspricht dem Termin des Achtelfinals.

 

Wie geht es nach der WM weiter? Wir zeigen nachfolgend alle Verläufe des Dow Jones Index bis 65 Handelstage nach WM-Beginn (seit 1974). In diesem Jahr ist damit der Zeitraum Mitte Juni bis Mitte September bezeichnet.

 

Häufig kommt es nach einer Fußball-WM zu Entzugserscheinungen. Als einziges deutlich positives Beispiel fällt der Verlauf des Jahres 1982 auf (violette Linie obiger Chart). In jedem anderen Fall lag der Gewinn 65 Handelstage nach dem WM-Beginn nicht höher als 5 Prozent. Die Anzahl negativer und positiver Verläufe halten sich die Waage. Die scharfen Korrekturen der Negativverläufe sorgen allerdings dafür, dass sich der Durchschnittsverlauf (schwarze Linie obiger Chart) im Minus befindet.

Es würde allen Wahrscheinlichkeiten widersprechen, wenn das brasilianische Team am 13. Juli nicht den FIFA-Pokal in die Höhe strecken würde. Doch der Druck auf die Seleção ist immens. Letztendlich ist Fußball nicht berechenbar, genauso wenig wie die Börse. Die Wahrscheinlichkeiten machen den Reiz aus. Dadurch werden Treffer möglich, die oberhalb der Münzwurf-Wahrscheinlichkeit liegen. Man sollte nicht den Fehler machen, Wahrscheinlichkeiten mit Gewissheiten gleich zu setzen. Das ist der Reiz des Spiels. Sowohl im Fußball als auch an der Börse.

Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest

 


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