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Ein Streit um des Kaiser's Bart?

Wellenreiter-Kolumne vom 29. April 2014

Der Bart – auch gern der Vollbart – ist zurück. „Kaiser“ Franz Beckenbauer ergänzte jüngst die Liste prominenter Bartträger. Dieser Trend ist so neu nicht. Er startete im New York der Nullerjahre, zunächst wohl in der Absicht, selbstironisch unterscheidend zu wirken. Der Trend dürfte durch das Aufkommen sozialer Medien verstärkt worden sein. Ein Selfie mit Bart erhöht den eigenen Klickfaktor.

 

In der Antike waren das Tragen von Bärten unter Griechen und Römern in den jeweiligen Frühphasen der Imperien üblich. Alexander der Große leitete das bartlose Zeitalter ein, indem er seinen Soldaten die Rasur befahl. Bei den Römern setzte sich das rasierte Antlitz mit zunehmender Zivilisierung ab dem Jahr 200 v. Chr. durch.

 

In der neueren Zeitrechnung ist das bartlose Gesicht die Regel. Die eine Ausnahme bildet der Zeitraum von ca. 1550 bis etwa 1650. Sir Francis Drake (1540 bis 1596) mehrte als Freibeuter mit Vollbart den Ruhm Englands. Der Film „Fluch der Karibik“ kultiviert das Klischee des barttragenden Piraten.

 

Die andere Ausnahme bildet die Periode von 1850 bis 1914. Dieser „Gründerzeit“ genannte Zeitraum ist uns dank der Portraits von Karl Marx und Friedrich Engels (beide mit Rauschebärten) und anderer Fotografien berühmter damaliger Persönlichkeiten in bester Erinnerung. Das damalige Bartzeitalter begann nach den Revolutionen von 1848. Es wurde chic, ja geradezu notwendig, einen Bart zu tragen. Eine Art „kollektiver Gruppenzwang“ setzte in der westlichen Welt ein. Der erst US-Präsident, der einen Bart trug, war Abraham Lincoln (US-Präsident von 1861–1865). Der letzte Bartträger war William Howard Taft (1909 – 1913). Dazwischen trugen – bis auf zwei Ausnahmen - alle US-Präsidenten einen Bart. Die drei deutschen Kaiser Wilhelm I., Friedrich III. und Wilhelm II. (Zeitspanne 1871 – 1918) verfügten allesamt über mächtige Bärte.

 

Die Gründung der Firma Gillette im Jahr 1901 besiegelte den Anfang vom Ende des Bartes. Des Tragens von Bärten überdrüssig stieg der Wunsch nach einer sicheren Rasiermethode.  Im Jahr 1904 verkaufte Gillette in den USA 90.000 Rasierer und 123.000 Rasierklingen für die Selbstrasur. Die Selbstrasur war bis dorthin unüblich, man ging zum Barbier. In den Folgejahren stiegen die Absatzzahlen – mittlerweile auch in Europa – deutlich an. Während des 1. Weltkriegs bestellte die US-Regierung 3,5 Millionen Rasierer und 36 Millionen Klingen bei Gillette, um ihre Soldaten mit Rasierern zu versorgen. Es wird immer wieder kolportiert, dass der erste Weltkrieg das Ende des Bartes besiegelte, weil die Bärte wegen der Atemschutzmasken abrasiert werden mussten. Das mag so sein, aber Wunsch nach einer sicheren Selbstrasur stieg schon vorher an. Folgte Gillette dem Trend oder machte Gillette ihn? Wahrscheinlich ist es eine Kombination von beidem.

 

Im Jahr 1967 waren die Beatles auf dem Cover ihrer LP „Sgt. Pepper“ mit Schnauzbärten zu sehen. In den Folgejahren verstärkte sich der Trend zum Vollbart. Diese Periode lief Ende der 1970er Jahre aus. Im Unterschied zur Gründerzeit gelang es dem Bart nicht, bis zu den Mächtigen durchzudringen. Die US-Präsidenten rasierten sich auch im Zeitalter der Hippies glatt, genauso wie die damaligen deutschen Kanzler.

 

Die Firma Gillette wurde im Jahr 2005 von Proctor & Gamble übernommen. Auch wenn der Markenname weiterhin existiert: Ist es nicht mehr als ein Zufall, dass ein neuer Bartmodetrend gerade in den Jahren beginnt, in denen die Firma, die dem vorherigen Barttrend ein Ende bereitet hat, zu existieren aufhört?

 

Kündigt die Rückkehr der Vollbärte ein Zeitalter des Verfalls an? Wagen wir einen Vergleich zum römischen Reich. Legt man die Bartmode der römischen Herrscher zugrunde, so blieb das römische Reich von etwa 200 v. Chr. bis 117 n. Chr. bartlos. In dieser Periode expandierte Rom fast ununterbrochen. Man kann diese 300 Jahre als Hochblüte des römischen Reiches bezeichnen. Mit Kaiser Hadrian im Jahr 117 n. Chr. begann ein fast 200jähriges Bartzeitalter, das erst mit Konstantin dem Großen im Jahr 306 n. Chr. endete. Unter Hadrian erreichte das römische Reich seine größte Ausdehnung. In Wikipedia heißt es zu Hadrian: „Moderne Historiker werfen dem Kaiser vor, die Reichsfinanzen zu stark belastet zu haben. In der Tat lassen sich Vorboten einer Wirtschaftskrise erkennen, die aber noch keine dramatischen Ausmaße annahm.“

 

Die meisten Kaiser setzten nach Hadrian die Politik der Währungsabwertung und höherer Steuern – hauptsächlich gegenüber den Wohlhabenden – fort. Der Historiker Bruce Bartlett schrieb: „Das Wirtschaftswachstum kam durch diese Maßnahmen zum Erliegen. Da die Wohlhabenden nicht mehr in der Lage waren, den Staat mit ihren Abgaben zu finanzieren, mussten die Durchschnittsverdiener die Masse der Steuern finanzieren“. Der Ausweg hieß auch damals: Gelddrucken. Römische Kaiser ließen Münzen mit immer weniger Gold- oder Silberanteil prägen. Bartlett weiter: „Am Ende war kein Geld mehr übrig, um den Sold, den Bau von Schiffen, oder von Kriegsbefestigungen zu bezahlen. Die Grenzen waren nicht mehr zu schützen. Die Invasion der „Barbaren“ waren letztendlich nichts anderes als das Resultat dreier Jahrhunderte des Rückgangs der Fähigkeit, genügend Steuern einzutreiben.“ (Artikel: „How excessive Government killed Rome“).

 

Der erste Kaiser, der nach knapp 200 Jahren keinen Bart mehr trug, war Konstantin der Große (306 – 337 n. Chr.). Er löste die römische Tetrarchie auf und sicherte sich die Alleinherrschaft über das gesamte Imperium. Zudem gründete er Konstantinopel, das von nun an als neue Hauptstadt diente. Dies war ein Zeichen für den Bedeutungsverlust des  westlichen Teils des römischen Reiches. Das west-römische Reich ging im Jahr 476 n. Chr. - mit der Absetzung von Romulus Augustulus -  glattrasiert unter.

 

Halten wir fest, dass die Wiederkehr des Bartes im Jahr 117 n. Chr. nach einem langen Zeitalter römischer Prosperität mit dem Höhepunkt der territorialen Ausdehnung Roms zusammenfiel. Anschließend begann – ein zunächst langsamer – Zerfall. Zunehmend traten wirtschaftliche Schwierigkeiten auf, die mit Hilfe zusätzlichen, aber immer wertloseren Geldes aufgefangen werden sollten. Dies gelang nicht.

 

Keiner der derzeit für 2016 gehandelten US-Präsidentschaftskandidaten trägt aktuell einen Bart. Zudem kann dieses Thema durch eine mögliche Präsidentin Hillary Clinton elegant umgangen werden. Es braucht Trendsetter wie George Clooney, David Beckham oder Franz Beckenbauer,  um den Bart auf eine gesellschaftsfähige Ebene zu heben. Keinesfalls ausgeschlossen scheint, dass das männliche Antlitz im Begriff ist, eine längerfristig wirkende, haarige Transformation zu vollziehen. Es wäre nicht das erste Mal.

 


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