Sie sind hier
Der Börsentag nach der Wahl
Die Citigroup glaubt an einen Rückgang der US-Aktienmärkte zwischen 3 und 5 Prozent am Tag nach der US-Präsidentschaftswahl für den Fall eines Sieges von Donald Trump. Barclays nimmt einen Rückgang von 11 bis 13 Prozent an. Sollte hingegen Hillary Clinton gewinnen, sollten die Märkte laut Barclays um 2 bis 3 Prozent steigen.
Der folgende Chart zeigt die Veränderung des Dow Jones Index am Tag nach einer US-Präsidentschaftswahl seit 1900.
Die größten Tagesverluste wurden 2008 (5,1%), 1948 (3,9%) und 1932 (4,5%) notiert. Barack Obama verscheuchte im November 2008 George W. Bush. Der Wahlsieg wurde schon im Vorfeld eingepreist und von Börsen durch eine starke Vorwahlrally begrüßt. Direkt nach der Wahl kam es zu Gewinnmitnahmen. Die Finanzkrise hielt die Welt in Atem. Man freute sich über einen neuen Präsidenten, hielt aber die Krise zurecht noch nicht für beendet. Im Jahr 1948 konnte sich amtierende Präsident Harry S. Truman überraschend gegen seinen republikanischen Widersacher Thomas E. Dewey durchsetzen. Seine Wahl widersprach allen Prognosen und war laut Historikern eine der größten US-Wahl-Überraschungen überhaupt.
Die Wahl Franklin D. Roosevelts im November 1932 geschah vor dem Hintergrund der großen Depression. Der amtierende Präsident Herbert Hoover war angesichts der wirtschaftlichen Situation, für die er von Roosevelt mit verantwortlich gemacht wurde, chancenlos. Das Ausgangsszenario glich demjenigen von Barack Obama im Jahr 2008. Die Verläufe von 2008 und 1932 um den Wahltermin ähneln sich nicht ohne Grund.
Es ist interessant, dass positive Reaktionen am Tag nach der Wahl einen Seltenheitswert besitzen. In den vergangenen 50 Jahren kam es lediglich dreimal zu einer positiven Reaktion von einem Prozent oder mehr. Der Republikaner Ronald Reagan schaffte dies 1980 mit einem Plus von 1,7 Prozent, als er den demokratischen Erdnussfarmer Jimmy Carter mit großem Stimmenvorsprung ablöste. Am Tag nach der Wiederwahl von Bill Clinton im Jahr 1996 sprang der Markt um 1,6 Prozent nach oben. Und schließlich führte die vergleichsweise knappe Wiederwahl des Republikaners George W. Bush im Jahr 2004 zu einer positiven Reaktion am Tag nach der Wahl in Höhe von 1,0 Prozent.
In allen drei Fällen blieb eine Rally in den Tagen vor der Wahl aus. Dafür stiegen die Märkte im Anschluss an die Wahl.
Betrachtet man alle Verläufe seit 1900 um den Wahltermin herum und bildet daraus einen Durchschnittswert, dann ist die typische Vor-Wahlrallye gut zu erkennen.
Nach der Wahl konsolidieren die Märkte meist oder aber haben eine Tendenz zur Gewinnmitnahme. Letzteres gilt insbesondere für den Zeitraum nach dem zweiten Weltkrieg. Das Verhalten des Aktienmarktes in der aktuellen Phase ist atypisch.
In 20 von 29 Fällen stiegen die Aktienmärkte in den Tagen vor der Wahl. Die 9 Muster, in denen dies nicht geschah und die damit dem bisherigen Verlauf in den Tagen vor der Wahl am 8. November 2016 ähneln, haben wir mit Hilfe des folgenden Charts zusammengefasst.
In 5 der 9 Fälle ohne Vorwahlrally standen die Aktienmärkte nach 10 Tagen höher als zum Wahltermin, in 4 Fällen war dies nicht so. Nur einmal (1920, gelbe Linie obiger Chart) gingen die Aktienmärkte in den Tagen nach der Wahl tief in die Grütze. Der Dow Jones Index verlor nach der Wahl des republikanischen Zeitungsverlegers Warren G. Harding gut 10 Prozent. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass bereits im Januar 1920 eine starke Rezession begann, die den Aktienverlauf negativ beeinflusste. Auch hier lassen sich Parallelen zu 2008 und 1932 ziehen.
Die Geschichte der US-Wahl 2016 ist zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Analyse noch nicht geschrieben, aber eine Entscheidung ist nah.
Im Jahr 1980 war Ronald Reagan der Kandidat der Republikaner.
Der Spiegel schrieb in seiner Ausgabe vom 27. Oktober 1980: „Denn eigentlich ist dieser Ronald Wilson Reagan, 69, Ex-Sportreporter, -Filmschauspieler, -Fernsehunterhalter, -Politreisender, -Waschmittelwerber, Gouverneur, kaum von dem Holz, aus dem Amerika gemeinhin Präsidenten schnitzt - oder zumindest früher zu schnitzen pflegte. Von Freund und Feind als intellektuelles Leichtgewicht eingestuft ("Selbst wenn man durch Ronald Reagans tiefste Gedankengänge watet", so der Republikaner Peter Behr aus Kalifornien, "macht man sich nicht mal die Knöchel naß"), verhaftet in einer Welt von gestern, ohne Verständnis für die Welt von heute oder gar morgen, ist Reagan eher der typische "Know-nothing-Kandidat" (so der US-Publizist Jeffrey Klein), ein Meister der markigen Sprüche, eine "Kraft des Negativismus" (Senator Edward Kennedy) und ein Methusalem des Konservatismus. Reagan: "Im Mittelpunkt unserer Botschaft sollten fünf einfache, vertraute Worte stehen: Familie, Arbeit, Nachbarschaft, Freiheit, Frieden. Er will die Steuern um 30 Prozent senken und den Staatshaushalt ausgleichen; er lehnt, natürlich, ab, den Frauen die Gleichberechtigung in der Verfassung festzuschreiben, den Armen die Abtreibung zu erleichtern und neue staatliche Förderungsprogramme für die Eingliederung von Schwarzen und anderen Minderheiten in den Wirtschaftsprozess voranzutreiben. Wohlfahrtsempfänger sind für ihn "eine gesichtslose Masse, die auf Almosen wartet".
Ronald Reagan senkte die Steuern und fuhr die Verschuldung hoch. Anfangs griff das Programm nicht, ein halbes Jahr nach seiner Wahl begann eine Rezession. Danach aber blähten sich die Märkte bis zum Crash von 1987 auf. Bei allen Unterschieden in der Persönlichkeit (Reagan wurde von den Zeitgenossen als ein durchaus freundlicher Mensch beschrieben) fallen die Parallelen zu Trump beim Lesen des obigen Textes unmittelbar ins Auge.
Sollte Clinton gewählt werden, dann erwarten die Beobachter einen Bounce an den Märkten. Sollte Trump gewinnen, wird ein deutlicher Fall der Märkte erwartet. Die Wahl-Prognosen für Reagan waren unmittelbar vor der Wahl besser als diejenigen von Trump heute.
Die folgenden vier Punkte erscheinen wichtig:
1. Der Tag unmittelbar nach der Wahl war nur dann ein großer Verlusttag, wenn sich zuvor eine Wahlrally aufgebaut hatte. Es kam zu Gewinnmitnahmen. Derzeit liegen keine Gewinne aus einer Vorwahlrally vor.
2. In den vergangenen 50 Jahren wurde lediglich dreimal eine positive Reaktion von einem Prozent oder mehr am Tag nach der Wahl beobachtet, unter anderem im Jahr 1980. Eine normale Reaktion ist ein Fall zwischen 0 und -1 Prozent.
3. In 9 von 29 Fällen fielen die Aktienmärkte in den Tagen vor der Wahl. In 5 der 9 Fälle standen die Aktienmärkte nach 10 Tagen höher als zum Wahltermin. In 4 Fällen war dies nicht so. Nur in einem dieser Fälle (1920) fielen die Märkte in den Tagen nach der Wahl deutlich. Damals herrschte eine starke Rezession.
4. Donald Trump ähnelt in Bezug auf seine Wahlaussagen dem Ronald Reagan des Jahres 1980.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
Testen Sie unsere Frühausgabe.
Ein kostenloses 14-tägiges Schnupper-Abonnement können Sie hier bestellen: Schnupper-Abo bestellen
Wochenend-Kolumne abonnieren.
Weitere Kolumnen finden Sie im Archiv.